Der Astfehler

Das ist meine Geige. Besser gesagt: Es ist meine gute Geige, ich habe für Anlässe wie Open Air Konzerte noch ein zweite, weniger gute (die aber auch gut ist). Mit diesem Instrument hat es eine Bewandtnis. Die meisten denken ja, je älter eine Violine ist, desto besser, aber das stimmt nicht immer. Es gibt auch vorzügliche moderne Geigenbauer und einer davon ist Martin Schleske.
Der hat vor ein paar Jahren ein Buch geschrieben. Titel: „Der Klang. Vom unerhörten Sinn des Lebens“. Das Buch ist eine Art Gleichnissammlung. Jeder Schritt in dem ein Geigenbauer sein Instrument gestaltet, vom Auffinden des richtigen Baumes bis zu den letzten Klangeinstellung, dient als eine Art Sinnbild für die Wechselfälle des Lebens und vor allem dafür, wie Gott, der große Meister, seine Menschen gestaltet und formt. Einer der Leitsätze von Schleske lautet dabei: „Das Holz hat Mitspracherecht!“ Ein guter Geigenbauer kann nicht gegen die gewachsene Faser des Holzes arbeiten. Er muss seine Besonderheiten berücksichtigen. Er muss darauf achten, nicht zu viel Spannung hinein zu legen. Er darf es formen und fordern, aber wenn er das Holz überstrapaziert, dann kann nichts aus diesem Instrument werden. Genauso macht Gott es mit den Menschen. Ich finde das ein wunderbares Bild.
In einem Kapitel geht Martin Schleske auf die ganz Großen seiner Zunft ein und beschreibt, wie der italienische Geigenbauer Amati Geigen aus so genanntem Reaktionsholz gebaut hat. Reaktionsholz ist das Holz, das ein Baum bildet, wenn er unter besonderen Stress gerät. Schwere Schneelast, ungünstige Hanglage, etc. – normalerweise lässt ein Geigenbauer von so etwas die Finger, denn normalerweise klingt das einfach nicht gut.
Ich las dieses Kapitel und es berührte mich sehr. Normalerweise lässt ein Geigenbauer die Finger davon – aber Gott lässt seine Finger eben nicht von unserem „Reaktionsholz“. Was ist das? Es sind unsere Fehler, Neurosen, Schwächen, all die Muster, die wir uns zulegen als Reaktion auf ungute „Wachstumsbedingungen“.
Amati jedenfalls hat es gewagt. Eins seiner Instrumente hat mittendrin geradezu trotzig einen Holzfehler – und es klingt trotzdem gut.
Ich fragte Martin Schleske dann mal: „Haben Sie jemals so etwas gebaut?“
„Nein, das würde mir von meiner normalen Klientel (das sind lauter hochkarätige Geiger) ja keiner abnehmen. Das ist reizvoll, aber nichts für den Konzertsaal.“
Ich sagte: „Also mich würde das sehr reizen, aber leisten könnte ich mir das vermutlich nicht.“
Ich merkte, dass es ihn auch total reizt, mal so etwas zu bauen – ganz bewusst. Nicht das beste Holz vom geradesten Baum. Sondern mal etwas andres.
Wir kamen überein: Er baut dieses Instrument. Dann überlege ich, ob ich es wirklich will. Und zahle gegebenenfalls in Raten.
Einige Wochen nach diesem „Deal“ wurde meine Mutter sehr schwer krank und es war absehbar, dass sie das nicht überlebt. Ich machte mich auf nach München zu meiner Mutter, die auf der Intensivstation lag. Und als ich im Zug sitze, bekomme ich eine Mail aufs Handy, von Martin Schleske. Inhalt: „Deine Geige ist fast fertig, ich muss nur noch die Klangeinstellungen machen! Sie ist sehr schön geworden. Mit einem quer liegenden Ast in der Decke….“
Meine Mutter starb am Tag darauf. Und ich bekam meine Geige. Mit Astfehler.
Bei Schleske hat jedes Instrument seinen biblischen Widmungsspruch. Meine: „Sieh nicht auf seinen Wuchs…Der Mensch sieht was vor Augen ist, der Herr aber sieht das Herz an.“ Aus der David-Berufung.
Bezahlt habe ich sie von einem Teil meines Erbes. Ohne Raten. Sie erinnert mich jetzt jedes mal wenn ich sie in die Hand nehme daran, was wirklich wichtig ist.
Die Astfehler nicht zu verachten und trotzdem so gut zu spielen, wie irgend möglich.

2 Kommentare zu „Der Astfehler

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