Gut schlecht mittel….und warum ich finde, dass das Quatsch ist.

Seit ich beurlaubt bin, fällt es mir so richtig auf.
„Und? Wie geht es dir denn jetzt?!“
„Danke, eigentlich ganz gut.“
„Bereust du nicht, dass du dich aus dem Pfarramt zurückgezogen hast?“
„Nein, im Moment nicht.“
„Aber du vermisst doch sicher was.“
„Danke, im Moment brauche ich nichts.“
„Aber man braucht doch eine sinnvolle Beschäftigung. Und die Zukunft. Und die Rente. Und die Leute, was sollen die denken….“

Spätestens hier klinke ich mich in der Regel aus.

Es ist ganz eigenartig. Seit ich keiner „geregelten Beschäftigung“ mehr nachgehe, machen sich auf einmal wahnsinnig viele Leute „Sorgen“ um meine Zukunft. Interessanterweise aber nicht meine wirklich engen Freunde und Vertrauten. Sondern Leute aus dem weiteren Umfeld, denen es doch eigentlich egal sein könnte.

Ich habe einen Verdacht. Und der lautet: Ein Mensch, der sich freiwillig (zeitweilig) aus einem lukrativen und irgendwie ja doch sinnerfüllten Beruf zurückgezogen hat, wirkt auf andere zutiefst verunsichernd und irgendwie geradezu verstörend.

Ja, manchmal kommt es mir so vor, als ob die Fragesteller geradezu darauf „lauern“, dass ich endlich weinend zusammenbreche und zugebe, wie „schlecht“ es mir doch geht und wie wenig Sinn mein Leben auf einmal hat. Warum ist das so? Fühlen sich einige in ihren eigenen Lebensentwürfen in Frage gestellt? Schwingt da vielleicht auch ein stiller (oder gar nicht so stiller) Vorwurf mit: „Wie kann es dir nur gut gehen, wo du doch seit einem halben Jahr nichts Produktives zur Verbesserung der Gesellschaft und zum Bruttosozialprodukt beiträgst?“

Hm…

Wie war das noch mal mit der Rechtfertigung aus reiner Gnade?

Überhaupt diese Frage: Wie geht es dir? – Verbunden mit der Erwartung eines „gut“ oder „schlecht“. Außer im Zusammenhang mit kurzen ritualisierten Grußformeln habe ich mir die Antwort „gut“ oder „schlecht“ auf die Frage, wie es mir denn ginge, längst abgewöhnt. Wenn ich „gut“ sage, dann eigentlich nur aus „Höflichkeit“.

Warum? Weil „gut“ und „schlecht“ keine Befindlichkeiten beschreiben. Viel mehr sind „gut“ und „schlecht“ moralische Kriterien, und die sagen darüber, wie es einem Menschen geht, herzlich wenig aus.
Beschreibungen für die Befindlichkeit wären eher: Traurig, müde, fröhlich, motiviert, verliebt, genervt, euphorisch, voll Tatendrang, unmotiviert und andere mehr. Aber nicht „gut“ oder „schlecht“. Denn das kann alles bedeuten, und bedeutet deshalb gar nichts.

Ehrlich gesagt habe ich den Verdacht, dass die Wörter „gut“ und „schlecht“ im Zusammenhang mit der Frage, wie es einem Menschen denn geht, unbewusst den moralischen Kontext dem sie entstammen auf die Gemütsverfassung projizieren.

Wem es „gut“ geht, der „ist“ nach gesellschaftlichen Kriterien auch „gut“. Gut ist: Motiviert, gut gelaunt, kontaktfreudig, redselig, voll Tatendrang, fleißig – eben alles, was gut ankommt.
Wem es „schlecht“ geht, der ist halt wehleidig, nicht leistungsfähig, undankbar, faul.

Außer er liegt mit einer schweren Krankheit im Krankenhaus, das wird toleriert.

Geht es mir nun gut oder schlecht oder mittel?
Weder noch.
Ich lebe. Und das reicht momentan völlig.

Irgendwann wird es weitergehen. Und dann werde ich den unschätzbaren Vorteil genutzt haben, den Prozessen in meiner Seele den Raum gewährt zu haben, den sie eben brauchen.

Das ist weder gut, noch schlecht. Es ist einfach so.

8 Kommentare zu „Gut schlecht mittel….und warum ich finde, dass das Quatsch ist.

  1. Und das ist ein toller Beitrag!
    Als ich meine Arbeitszeit auf 50% reduziert habe, kamen plötzlich auch ganz viele Leute aus meinem weiteren Umfeld an und stellten mir die gleiche Fragen. Dieses „Was wird aus deiner Rente?!“ hat mich immer erheitert. Ich dachte mir dann so: was bringt es mir später eine dicke Rente zu bekommen, wenn es mir ansonsten furchtbar geht? Und überhaupt, wer sagt mir, dass ich nicht morgen von einem Auto überfahren werde? Dann habe ich meine Zeit damit verbracht für ein System zu funktionieren, mit dem ich nicht mal einverstanden bin und habe gar nichts von meiner Rente. Es gibt wichtigere Dinge als „zu gefallen“ und zu funktionieren. Wie hoch die Erwartungshaltung diesbezüglich vom eigenen Umfeld ist, war schon erschütternd. Man hat nicht überlastet zu sein oder gar neu orientiert. Ich finde, du hast das ziemlich schön auf den Punkt gebracht.

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    1. 🙂 momentan erwäge ich, mich auf eine halbe Stelle zu bewerben, das ist zwar noch unkonkret, aber durchaus vorstellbar. Lieber eine halbe stelle mit ganzem Herzen, als eine volle Stelle am Rande des Burnouts.

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      1. Ja. Menschen sind einfach ganz unterschiedlich in ihren Fähigkeiten und ihrer Belastbarkeit. Ich habe ja auch nicht reduziert weil ich meine Arbeit nicht mag, sondern weil meine Gesundheit angegriffen wurde. Und kaum ein Job auf der Welt ist es wert, dass man seine Gesundheit dafür riskiert. Ganz besonders schlimm wird es, wenn man einen Beruf hat in dem man anderen hilft. Wie soll man jemandem helfen, wenn man sich selbst kaum über Wasser halten kann? Man muss dafür stabil sein.

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  2. „Und dann werde ich den unschätzbaren Vorteil genutzt haben, den Prozessen in meiner Seele den Raum gewährt zu haben, den sie eben brauchen.“ – Das ist sicher gut. Auch wenn es sich jetzt vielleicht nicht immer gut anfühlt.

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  3. In der Schweiz gab es mal eine Langstreckenläuferin, die im Spitzensport ziemliche Erfolge feiern konnte. Wegen Verletzungen etc. hat sie dann eine Weile (inzwischen für immer) aufgehört mit dem Sport. In dieser Zeit hat sie öfters folgende Szene erlebt: „Wie geht es dir?“ – „Gut!“. – „Ach, läufst du jetzt wieder“ – „Nein.“ – „Aber du hast doch gerade gesagt, es gehe dir gut“ – „Ja, es geht mir eben trotzdem gut“.

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  4. „Ich lebe“. Das ist auch meine Antwort seit ein paar Monaten. Wenn ich den Leuten sagen würde wie es mir tatsächlich geht, dann würden die sich nur abwenden. Solche Realitäten wollen sie so im Detail nicht hören. (abgesehen von Partnerin/guten Freunden natürlich)
    Nur gut oder schlecht. Die wollen eigentlich nur hören ob du funktionierst oder nicht.

    Augrund einer völlig absurden Situation in der Arbeit macht es erst recht kein Sinn mehr, genauer zu erzählen weil es einem keiner glauben will.

    Der Beitrag selber und auch der Blog berührt mich sehr, bin ich doch selber in einer Situiation wo ich sagen sollte, Schluss mit dieser Art Arbeit unter diesen Bedingungen.

    Sie Frau Müller haben eine Lösung für sich gefunden, ich bin noch auf dem Weg der aber derzeit sehr sehr schwer ist.

    Dieser Blog hilft aber etwas so ein paar kleine Brocken aus dem Weg zu räumen.

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    1. Vielen dank für diesen Kommentar. Nein auch ich habe keine dauerhafte Lösung gefunden! Das ist momentan ein Übergang, in dem ich vermutlich nicht alt werde. ICh überlege eine Möglichkeit wie eine halbe Pfarrstelle plus eventuell nebenher Schreiben, Praxis, o.ä. Aber momentan ist alles noch sehr offen.

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