Fieber, Matschbirne und Erinnerung an einen seltsamen Segen

Die Woche in Hamburg war wirklich toll – nur leider habe ich mir, vermutlich durch die häufigen Wechsel von überhitzter S-Bahn und diversen Klimaanlagen, eine richtig dicke Sommergrippe eingefangen.
Und außerdem ist mein Autoschlüssel nicht auffindbar. Verloren? Verschusselt? Der Heilige Antonius schweigt sich leider aus.

Entsprechend war gestern und heute auch meine Laune. Bis ich dann beschlossen habe, das vorläufige außer-Gefecht-gesetzt-sein einfach als eine Phase der stillen Einkehr anzunehmen und zu nutzen. Das Fieber geht nicht schneller weg, wenn ich mich darüber aufrege und hektisch meinen Schlüssel suche.
Also habe ich den Tag heute über weite Teile im Bett und dösend verbracht – und war dabei in Gedanken und mit dem Herzen irgendwie noch in Hamburg.
Insgesamt vier mal war ich nun dort. Zum Kirchentag 1995 (irgendwann in einem anderen Leben), 2012 für ein Wochenende und letztes Jahr für anderthalb Tage auf der Rückreise von Amrum.
Das war eigentlich mein erster ganz bewusster Besuch dort. Ich habe auf der Rückfahrt von meinem Amrum-Urlaub in HH Halt gemacht, um meinen Facebook-Freund Daniel zu besuchen. Manche meinen ja, dass Facebook oder Twitter keine echten Freunde hervorbringen, aber das ist ein Beispiel dafür, dass es eben doch geht.
„Was machen wir denn heute Abend?“, fragte er.
„Gehen wir doch auf die Reeperbahn!“, meinte ich.
„Reeperbahn? Du spinnst, das ist total öde. Aber gut, wenn du meinst, wir sind wahrscheinlich eh in einer halben Stunde damit fertig.“
Aus der halben Stunden wurden dann ungefähr fünf Stunden. Und wir endeten in der Travestieshow im Pulverfass.
Der Weg in die Show war steinig.
„Was kostet es denn?“
„Ach guck mal, nur 17 Euro pro Nase, das geht ja.“
„Mist, ich hab meinen Geldbeutel in deinem Auto vergessen, kannst du mir was leihen? Ich dachte ja, wir sind in einer halben Stunde wieder weg.“
„Hm ich weiß nicht ob ich noch Bares…“
Auf diese Weise zogen wir dann die Blicke zweier Transvestiten auf uns, die da irgendwo im Eingangsbereich herumstanden und sich offenbar köstlich über dieses seltsame Paar amüsierten. Schließlich hatten wir dann doch ein paar Kröten zusammengekratzt (ich hatte zufällig noch ein paar Euro lose in der Tasche) und dem abendlichen Vergnügen stand nichts mehr im Wege.
Wir nahmen dann an einem der Tischchen im plüschig roten Zuschauerraum Platz, und schon stand jemand neben uns und wollte wissen, was wir trinken wollen.
„Ein Mineralwasser bitte.“
„Eine Cola.“
Der Herr im Frack runzelte die Stirn und tippte auf einen Satz ganz oben auf der Getränkekarte: Jede erste Bestellung mindestens 20 Euro.
Ach du scheiße.
Also musste dann doch Daniels Kreditkarte dran glauben.
Und wir hatte je so fünf Flaschen Cola und Wasser vor uns stehen.
Die Show begann.
Und dann passierte etwas, nach Außen völlig unscheinbar und vermutlich unauffällig: Der Transvestit, der mir schon im Eingangsbereich aufgefallen war, musste ziemlich eng an mir vorbei und im Vorbeigehen strich er mir, kurz aber eindeutig und gezielt, mit der Hand über die Schulter. Ich schaute etwas verwirrt hoch und für eine Zehntelsekunde trafen sich unsere Blicke und ich sah darin echtes Wohlwollen. Akzeptanz. Verstehen über sämtliche Unterschiede hinweg.
Vielleicht auch ein bisschen „Sorry!“ -tja, so läuft da bei uns eben, billiger Eintritt teure Getränke, nicht bös gemeint, merkt es euch einfach fürs nächste Mal!
Eine halbe Sekunde, dann war es auch schon vorbei.

Die Show selbst war dann witzig und gut gemacht. Aber was mich auf einer tieferen Ebene erreicht hat, war eben diese kurze Berührung ganz am Rande.

Vermutlich erinnert er (oder sie) sich gar nicht mehr daran.
Aber ich spüre diese Berührung immer noch, wenn ich daran denke und irgendwie habe ich dabei die Assoziation: Das war ein Segen. Ein unkirchlicher. Aber trotzdem.

Er ist eben auch auf der Reeperbahn, nachts um halb eins.

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