Eben komme ich von einem Wochenende mit dem Coburger Bachchor heim. Als fleißige Sängerin gibt man sich das einmal pro Jahr: Ein Wochenende mit den Mitstreiterinnen und Mitstreitern.
Was man da so macht?
Man steigt in einen Bus und fährt 1 1/2 Stunden in die Pampa zu irgendeinem Freizeitheim im Grünen, in unserem Fall ins evangelische Tagungszentrum nach Bad Alexandersbad. Also irgendwo hin, wo es keinen Handyempfang gibt.
Dann verteilt man etwa 100 Personen auf diverse Zimmer. Ich hatte diesmal aus Kostengründen wegen der Geselligkeit eins mit einer Mitsängerin vom zweiten Sopran. Die so genannte Schnarcherquarantäne. (Man schläft als Schnarcher entspannter, wenn man weißt, dass die andere auch sägt.)
Na ja, dann gibt’s Abendessen und dann wird gesungen.
Dann wird geschlafen.
Dann wird gefrühstückt und wieder gesungen.
Dann gibt’s Mittagessen und Kaffee. Dazwischen turnt man durch den Wald und genießt die Landschaft.
Dann wird gesungen.
Dann gibt’s Abendessen.
Und danach wird wieder gesungen.
Dann ist man gesellig.
Danach wird geso geschlafen.
Dann gefrühstückt.
Und noch mal gesungen.
Dann gibt’s Mittagessen.
Und dann geht’s heimwärts.
Soweit die Eckdaten. Auf deutsch: Chorwochenende ist Extreme Singing unterbrochen von Essen, Schlafen und ein bisschen Geselligkeit.
Was man sonst noch macht: Flaschen umschmeißen. Wenn man insgesamt 15 Stunden singt, muss man die Kehle feuchten. Dazu nimmt man Wasserflaschen mit in den Probenraum. Mangels Alternativen stellt man die auf den Fußboden. Dann nimmt, bei 100 Personen im Raum mit ebenso vielen Fußpaaren, das Verhängnis seinen Lauf.
Auf´s Klo müssen. Gefühlt immer 15 Minuten nach der zehnminütigen Klopause, die alle anderthalb Stunden eingelegt wird.
Chorleitersprech notieren. Wir haben einen ausgesprochen guten, engagierten, hochmusikalischen, tollen Dirigenten. Der hat sich, nach zwanzig Jahren, einen gewissen Galgenhumor zugelegt. Vermutlich wäre er sonst Alkoholiker. Man hat natürlich als braver Sänger immer Noten und Bleistift dabei. Und der kommt, bei mir zumindest, auch eifrig zum Einsatz. Nicht nur, um Vortragsstil und ähnliches in die Noten zu schreiben. Sondern auch um lustige Zitate zu notieren, die einen dann in ein paar Jahren wieder ergötzen, wenn man das Stück zum nächsten mal singt.
Beispiele:
Samstag morgen, 9 Uhr, Probenbeginn.
„Alle munter? Alle gut drauf? Keine Angst, das ändert sich gleich.“
„Ja, Leute, ich weiß schon, das ist schwer. Ich weiß aber auch, wenn wir das heute gut lernen….(überlegt)…dann werden Sie kommenden Freitag an dieser Stelle wieder genauso dämlich aus der Wäsche schauen.“
„Sopran zwei. Heute ein Brillantfeuerwerk rhythmischer Ideen.“
„Lieber Alt, das ist ein tiefes E! Da dürfen Sie ein wenig markieren, ist halt sautief.“ – Stimme aus dem Bass: „So schwer ist das doch nicht!“
„Ich möchte jetzt bitte einmal erleben, dass das klappt….na also, geht doch!“ – Stimme aus dem Bass: „Das war jetzt das eine Mal.“
„Das klang jetzt wie die Karfreitagsversion von O du fröhliche.“
„Diese Harmonie muss so dissonant klingen, das stimmt schon, man nennt das einen Querstand.“ – Chor stürzt beim nächsten Durchgang total ab. Chorleiter: „Was war das denn jetzt?!“ – Stimme aus dem Chor: „Das war auch ein Querstand.“
Oder, besonders schön: „War besser als letztes mal. Hat länger gedauert, bis wir auseinander waren!!“ – Man muss halt immer das Positive sehen. Und „da war ja auch schon viel Schönes bei!“.
Insgesamt ist so ein Probenwochenende, oder überhaupt alles disziplinierte Üben von Musik, ein Beweis dafür, dass Arbeit auch etwas Wunderbares sein kann. Als der Busfahrer in seiner kurzen Begrüßung bei der Hinfahrt meinte: „Ich wünsche Ihnen allen ein erholsames Wochenende!“, begann der ganze Bus schenkelklopfend zu lachen.
Nein, erholsam ist nicht das richtige Wort.
Es ist eher der Dienst an etwas Größerem, nämlich der Musik.
Jeder kann eine CD von der Marienvesper einlegen. Aber ein Werk so zu erarbeiten, dass es gut klingt und die Hörer anrührt, das ist etwas anderes und verschafft (mir und anderen) ungleich viel mehr Befriedigung, als wenn wir dieses Wochenende mit Party oder vor der Glotze verbracht hätten.
Wir probten übrigens die Marienvesper von Monteverdi rauf und runter. Und das nun folgende Stück ist, auch wenn es toll klingt, einfach sauschwer eine Herausforderung…aber wunderbar.