Heute ist der 13. Oktober 2016. Es ist 17.47 Uhr. Ich werfe einen letzten Blick auf die Teilnehmerliste meines Seminars „Nein sagen ohne Schuldgefühle“. 14 Personen haben sich angemeldet, 12 Frauen und 2 Männer. Das wundert mich nicht weiter. So ähnlich läuft das meistens bei solchen Themen. Männer kriegt man nur her, wenn es raus in die Natur geht, Survival und Meditation, Initiationsriten mit wilden Tieren und Bärenkämpfe, Hütten bauen, ums Feuer tanzen, und so. Ich überlege seit längerem, einen Mann als Co-Leiter mit ins Boot zu holen, der solche Sachen mit abdeckt. Aber Lumen Vitae läuft auch so ganz gut. Meine Klientel sind hauptsächlich Frauen zwischen Ende 20 und Ende 50. Die interessieren sich für Themen wie „Nein sagen ohne Schuldgefühle“, weil sie täglich damit konfrontiert sind. Ich möchte ihnen Strategien vermitteln, mit dem permanenten Druck in Beruf und Familie umzugehen. Ich bin gespannt, was jede einzelne von ihnen mitbringt. Und die beiden Männer? Nun, auch die hatten einen Grund sich hier anzumelden. Ob sie sich wohl vor so vielen Frauen wirklich öffnen werden?
Ich atme noch mal durch. Die beiden ersten Gäste trudeln ein. Sie schauen sich in meinem minimalistisch eingerichteten Gruppenraum um. Parkettboden. Ein Stuhlkreis. In der Ecke stapeln sich Meditationskissen. Die brauchen wir z.B. bei „Sitzen in der Stille“, einem offenen Meditationskurs, den ich immer mittwochs anbiete. Ansonsten ist der Raum leer. Nichts soll vom Wesentlichen ablenken und das Wesentliche in diesem Raum sind die Menschen und ihre Lebensfragen.
Die eine der beiden Frauen, die eben den Raum betreten haben, kenne ich schon vom Enneagramm-Seminar. Sie heißt Klara und ist eine von den 17 Personen, die sich über meine beliebte Flatrate angemeldet haben. Flatrate heißt: Die Teilnehmer zahlen pauschal 400 € im Halbjahr und können dafür so viele Kurse, Seminare und Vorträge besuchen, wie sie wollen. Alle anderen zahlen je nach Veranstaltungstyp 25 – 50 € pro Kurseinheit. Einzelberatungen allerdings sind nicht im Preis inbegriffen. Für 60 Minuten Einzelsitzung nehme ich 70 €. Mit dieser Mischkalkulation fahre ich inzwischen gut. Es hat sich herumgesprochen, was ich anbiete. Die ersten Monate waren zwar sehr zäh, aber nach und nach lief die Sache über Mundpropaganda und inzwischen kommen meine „Kunden“ aus ganz Oberfranken.
Die Raumfrage hat mir anfangs großes Kopfzerbrechen bereitet. Räume kosten Miete. Miete ist teuer. Was, wenn nicht genug Leute kommen? Mein Privatvermögen ist sehr knapp kalkuliert und reicht bei sparsamer Lebensführung ein Jahr – aber wie nur stemme ich die Miete für meine Praxisräume? Also wurde erst mal „gestöpselt“. Einige Nachmittage pro Woche habe ich einen Raum in einer Kirchengemeinde angemietet. Um zu sehen, ob das denn überhaupt läuft. Würde ich es schaffen, zwei Nachmittage pro Woche ausgelastet zu sein? Ich merkte schnell, dass das nicht besonders befriedigend ist. Ich brauche Räume, in denen ich schalten und walten kann, wie ich will. Wo ich auch spontan ein Beratungsgespräch einschieben kann, ohne mich erst mit den eigentlichen Besitzern abzustimmen.
Also habe ich es gewagt. Einen Businessplan erstellt, damit zur Bank marschiert und einen Kredit aufgenommen, um mir die ersten Monate der Praxismiete leisten zu können, ohne fortan von Ravioli aus der Dose leben zu müssen. Nun konnte ich frei aufspielen: Werbung machen, ein Logo entwickeln lassen, ein Seminarprogramm erstellen, Gastredner einladen. Kurz: Ein Angebot aus einem Guss kreieren, statt hier und da, überall und nirgends ein bisschen was zu planen, das sowieso nie so viel Gewinn abwirft, dass ich davon leben kann. Die Entscheidung zu investieren war gut. Mit einigem Holpern und Stolpern ging es endlich voran.
Inzwischen sind, bis auf zwei Personen, alle eingetrudelt. Sie haben Platz genommen. Ich eröffne die Runde.
„Herzlich willkommen zu unserer Gesprächsreihe Nein Sagen ohne Schuldgefühle! Schön, dass Sie so zahlreich erschienen sind. Wir werden ja nun fünf Abende miteinander verbringen. Ich schlage vor, wir stellen einander kurz vor….“
Ich bin in meinem neuen Leben angekommen.
Das klingt gar nicht so unrealistisch. Mich erinnert deine Zukunftsvision an Otto Scharmer, Die Theorie U. Wenn man unten im U angekommen ist, heisst es: „Verbinde dich mit deiner bestmöglichen Zukunft“. Du bist wohl gar nicht so weit weg davon. Falls es dich interessiert, könnte ich dir eine Zusammenfassung schicken.
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Ja, die Zusammenfassung interessiert mich! Gern schicken. Inzwischen bin ich schon im Schauen nach Praxisräumen im Internet….ich MUSS ja nicht unbedingt einen voraussichtlich unproduktiven Umweg über stundenweise gemietete Gemeinderäume u.ä. gehen. Weil ich nämlich glaube, dass das nicht so arg viel bringt. WENN ich diesen Weg weiter verfolge, werde ich vermutlich wesentlich schneller Erfolg haben, wenn ich gleich gescheite Räume habe. Die ich dann ja für alles nutzen kann, was ich anbiete, also auch die Sache mit freie Theologin, Beerdigungsgespräche etc. Kann daneben gehen. Aber das ängstliche Herumeiern geht auch daneben.
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Ich drücke dir die Daumen!!!
Alles Liebe,
Julia
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