Warum ich keine Lust mehr auf die Theodizee-Frage habe

Immer, wenn so schreckliche Dinge wie die Anschläge in Paris geschehen, wahlweise auch Tsunamis, schwere Krankheiten, Todesfälle oder andere (persönliche) Katastrophen bekomme ich die Frage gestellt: Warum lässt dein Gott das zu?

Warum ich keine Lust mehr habe, auf diese Frage zu antworten: Zum einen, weil sie meistens von Leuten kommt, die sowieso für sich die Erklärung gefunden haben, dass es Gott nicht gibt. Warum will jemand, der der Ansicht ist, dass es Gott nicht gibt, denn eigentlich dann wissen, warum er es zulässt? Diese Frage ist doch dann nichts weiter als ein heiteres philosophisch-theologisches Gedankenspiel. Oder Provokation. Die ist doch so fromm, mal sehen, was sie dazu sagt… Dafür sind die Auslöser aber zu ernst.

Wenn diese Frage doch mal von jemandem kommt, der sich selbst als gläubig bezeichnet, stellt sich meistens heraus, dass das Gottesbild des Fragenden irgendwie sehr einseitig ist. Gott ist für den Fragenden so etwas wie eine Mischung aus Kaugummiautomat (Gebet rein, Erhörung raus) und Weihnachtsmann (harmloser älterer Herr, der ab und zu mal vorbei kommt, Wünsche erfüllt und „Ho, ho, ho!“ sagt – wenn ich grad keine Wünsche habe, brauche ich ihn nicht). Dann habe ich eigentlich auch keine Lust, über die Theodizee-Frage zu diskutieren. Ich bitte denjenigen dann, doch einfach mal die Bibel zur Hand zu nehmen und sich aus erster Hand zu informieren. Der Gott der Bibel ist kein Kaugummiautomat und kein Weihnachtsmann. Sondern er hat sich, für Christen auf einmalige Art und Weise, in Jesus von Nazareth offenbart. Und der hat bekanntlich unbequeme Dinge gesagt wie: „In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden!“ Er hat nicht die Frage beantwortet, warum es das Leid gibt. Sondern er hat es selber auf sich genommen. Im Blick auf den Gekreuzigten und Auferstandenen verstummt in mir die Frage nach dem Warum.

Jeder nun, der wirklich eine Weile mit diesem Jesus unterwegs war, begreift irgendwann: Es gibt in diesem Leben keine Antwort auf die Frage nach dem Warum des Leides. Es gibt aber einen, der mit mir da durch geht. Besonders eindrucksvoll vor einigen Jahren in einem Hospiz. Ich machte, damals noch Pfarrerin, meine vorweihnachtlichen Besuche bei den Kranken aus meiner Gemeinde. Schwer Kranke, vom Tod gezeichnete Menschen. Da war ein Mann um die 40 Jahre mit Kehlkopfkrebs, der nicht mehr sprechen konnte und aufgrund der Metastasen wusste man, dass er wirklich nicht mehr lange zu leben hat. Wir haben uns unterhalten, mittels Ja/Nein-Fragen und Handzeichen.

„Wie viele Kinder haben Sie?“

Er strahlt und hält die Hand mit drei ausgestreckten Fingern in die Luft. Sie werden ihn an Heilig Abend alle besuchen, die ganze Familie wird auf der Station Weihnachten feiern….feiern? Kann man feiern sagen in so einer Situation? Jedenfalls strahlte sein Gesicht vor Vorfreude.

„Und haben Sie denn einen Glauben?“

Er nickte heftig, wiederum strahlend, und deutete auf ein Kruzifix, das an der Wand gegenüber seinem Bett hing. Ich habe ihn dann gesegnet.

Etwa eine Woche später habe ich erfahren, dass er am 2. Weihnachtsfeiertag gestorben ist.

Macht die Frage: „Warum lässt Gott das zu?“ denn da irgendeinen Sinn? Ich glaube nicht. Dieser Mann hatte seinen Frieden mit Gott und sogar mit seiner Krankheit. Ich hoffe, dass ich einmal so sterben kann.

Auch im Blick auf Paris macht die Frage, warum Gott das zulässt, wenig Sinn. Hat Gott diese Leute erschossen? Er hat den Menschen Freiheit zum Guten und zum Bösen gegeben.

Es geht nicht darum, warum Gott etwas zulässt. Sondern es geht darum, dieses Leben in seiner ganzen Fülle zu leben und sich zum Guten zu entscheiden, wo immer das möglich ist. Und dabei, trotz allem, im Vertrauen auf den Gott, den Jesus uns verkündigt hat, das zu tun, was notwendig ist, um Leid und Elend zu lindern.

Was heißt das im Blick auf Paris?

Mit den Angehörigen trauern, für sie beten (mehr kann ich aus der Entfernung eh nicht tun). Mich weiterhin für Toleranz, Miteinander und den interreligiösen Dialog engagieren. Nicht mitmachen, wenn nun andere beginnen, die Angehörigen einer ganzen Religion über einen Kamm zu scheren. 99 Prozent aller Muslime sind keine Attentäter. Mich selbst in Gott verwurzeln und aus dieser Verwurzelung leben und arbeiten.

7 Kommentare zu „Warum ich keine Lust mehr auf die Theodizee-Frage habe

  1. Tja, du hast keine Lust mehr auf die Frage. Gut, verstehe ich. Aber, für Atheisten ist es auch ziemlich erschütternd, dass Gläubige keine Antwort auf die Frage haben und trotzdem an ihrem Gottglauben festhalten und nicht nur das, es wird auch von einbem gütigen, lieben Gott gesprochen.
    Entschuldige, aber das hat jetzt sein müssen …..

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    1. Vielleicht verstehen „wir“ unter Gott längst etwas völlig anderes, als das, was „uns“ immer wieder als Glaube unterstellt wird. Und warum erschüttert dich das? ICH „muss“ doch damit klar kommen…außerdem haben wir nicht „keine“ Antwort. Zumindest für mich besteht die „Antwort“ im Blick auf JEsus am Kreuz. Das ist zwar keine Antwort auf das „Warum“ (auf das Warum gibt es keine Antwort). Aber es ist der personifizierte Zuspruch Gottes: ICh bin da. Und zwar auch und gerade im Leid. WARUM das so ist, interessiert mich eigentlich schon lange nicht mehr. Auch die Bibel gibt darauf eben keine Antwort. Aber sie gibt Möglichkeiten, damit umzugehen. Mir reicht das. Man kann zwar theologisch argumentieren. Aber letztlich erschließt sich Glaube nur, indem man ihn lebt. Es gibt keinen theoretischen Glauben und es gibt auch keine theoretische Antwort auf die Frage, warum Gott irgendwas zulässt.

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  2. Ich habe erst jetzt keine Lust mehr auf die Theodizee Frage :-). Eine Zeitlang hat es mir sehr viel Spass gemacht diese Frage in Foren zu diskutieren.
    Es führt natürlich wirklich zu einer Endlosschleife, weil irgendwann nichts neues mehr kommt. und inzwischen habe ich die Theodizee Frage für mich auch geklärt.
    Neben der reinen Provokation ist die Theodizee frage für Atheisten wie ich glaube ein Mittel der Mission. Sie glauben in dieser Frage einen Hebel gefunden zu haben um den Theisten aus der Dunkelheit der Irattionalität zum Licht zu führen.
    Man spricht ja auch vom „Fels des Atheismus“

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  3. Die Theodizee-Frage ist eine ernsthafte Herausforderung für abstrakte Theologie, die sich dabei sehr schnell in Widersprüchlichkeiten verwickeln kann. Ich habe schon sehr viel Gestammel, unzulängliche Antworten, Rückzüge ins Persönliche oder schlichte Kapitulationen erlebt. Und was das Schlimmste ist, nach einer kurzen Pause wird oft wieder genauso allgemein und floskelhaft über Gott dahergeredet, als wäre nichts gewesen. Je nach eigener Position wirkt das dann lächerlich oder beschämend.

    „Der Gott der Philosophen ist vor vielen Jahren an der Theodizee verstorben.“ So hat das einmal jemand gut auf den Punkt gebracht, ich weiß leider nicht mehr, wer.

    Eine gute theologische Antwort, die auf einer ähnlichen Linie argumentiert wie Du, habe ich bei Peter Knauer gefunden. http://www.peter-knauer.de/30.html

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  4. „Ein Philosophisches Problem hat die Form: ‚Ich kenne mich nicht aus‘.“ – Philosophische Untersuchungen, 123 Ludwig Wittgenstein
    Eine theologische Antwort klingt so: „Auch im Blick auf Paris macht die Frage, warum Gott das zulässt, wenig Sinn…
    „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“ – Tractatus logico-philosophicus, 7 Ludwig Wittgenstein

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