Während ich nach Ausstieg aus dem Pfarrberuf und Kündigung meines „Dienstverhältnisses auf Lebenszeit“ versuche, im Neuen Fuß zu fassen, dreht die kirchliche Welt sich weiter und heute habe ich mal ein bisschen in Richtung meiner ehemaligen kirchlichen „Heimat“ geschielt. Die Synode der EKD tagt. Ratsvorsitzender Heinrich Bedford-Strohm, der Häuptling aller deutschen Evangelen und bayerischer Landesbischof, hat Bemerkenswertes zur Flüchtlingspolitik geäußert. Das freut mich. Tja, und dann standen ja auch Wahlen an. Der Rat der EKD wurde neu gewählt. Einer der Kandidaten war dieser viel versprechende junge Mann hier.
Jawoll, dachte ich, als ich vorhin dieses Video anschaute. Da bringt es mal jemand auf den Punkt. Doch Ingo Dachwitz (28) wurde leider nicht gewählt. Begründung mancher Synodalen: Seine Selbstvorstellung sei „unglücklich“ gewesen. Wenn man für das leitenden Gremium der EKD kandidiert, solle man kein Suchender sein, sondern bereits etwas gefunden haben.
Liebe EKD – entschuldigt, dass ich euch pauschal so adressiere – aber ihr begreift offenbar nicht, worum es eigentlich geht. Es geht gar nicht so sehr um das eher jugendliche Alter des Kandidaten. Sondern um Folgendes: Da hat ein junger Mensch (es könnte auch ein mittelalter sein, das ist eigentlich egal) den Mut sich hinzustellen und zu sagen: Mit und trotz all meinen offenen Fragen und obwohl ich selber noch auf der Suche bin, will ich mich an leitender Stelle in die Evangelische Kirche einbringen.
Begreift ihr es denn nicht?? Dieser Mann repräsentiert keine Minderheit. Er repräsentiert eine wachsende Mehrheit unserer, pardon, eurer Kirche! Es ist eben heute nicht mehr selbstverständlich, dass das Glaubensleben und die kirchliche Bindung einem schon in die Wiege gelegt werden und man das dann durchzieht vom Kindergottsdienst bis zum Altenclub! Die weitaus größte Zahl von Kirchenmitgliedern hat vielmehr gebrochene Glaubens- und Kirchenbiografien und ist auf der Suche. Dieser junge Mann hätte endlich mal eine Identifikationsfigur für sehr viele sein können.
Liebe Repräsentanten, der EKD – ich habe den Eindruck, ihr begreift nicht, was die Stunde schlägt. Ihr dreht euch in entscheidenden Fragen um euch selbst und bewegt euch glücklich und zufrieden in einer zwar noch vorhandenen aber immer kleiner werdenden sozialen Blase von lebenslang kirchenaffinen Glaubensgeschwistern.
Klar, politische Statements, Flüchtlingspolitik – wahnsinnig wichtige, gut durchdachte Themen in der EKD. Aber die Frage, wer in Zukunft Kirche sein wird in unseren Breitengraden und wie Kirche auf die wachsenden Herausforderungen der Individualisierung reagieren soll, habt ihr noch nicht mal ansatzweise bearbeitet. Und die drängt.
Im Grunde waren es genau die Themen, die bewirkt haben, dass ich mich in der evangelischen Kirche nie wirklich zuhause gefühlt habe. Auch nicht als Pfarrerin. Weil man irgendwie nicht Suchende sein darf, sondern schon gefunden haben muss, und ehrlich (spirituell) Suchende sind allenfalls als Gottesdienstbesucher in der letzten Bank willkommen.
Dass Ingo Dachwitz nicht gewählt wurde, wundert mich leider kein bisschen. Das, was von der Volkskirche übrig ist, ist eben weniger wanderndes, suchendes Gottesvolk. Sondern eher eine Ansammlung von Menschen, die sich im Bestehenden eingerichtet haben und das auch nicht grundlegend verändern wollen. Eine meiner letzten Begegnungen mit „Kirchenleitung“ als Pfarrerin war ein Gespräch mit einer Oberkirchenrätin. Ich schilderte ihr, wie ich zur Kirche gekommen bin, nämlich (ähnlich wie der junge Mann im Video) nicht über die kirchliche Gemeindearbeit sondern über Thomasmesse, ESG und die Erfahrung, in meinem So-Sein (trotz einer gewissen Skepsis) angenommen zu sein und mitgestalten zu können. Meine Sozialisation war keine „normale“. Antwort der Oberkirchenrätin: „Das ist ja zunächst mal ein legitimer Zugang, aber als Pfarrerin muss man dann eben irgendwann Feuer fangen für die Normalität.“
Hier noch ein Kommentar zur Ratswahl.