Kristalle, Scharlatane und die 6. Vaterunserbitte

Vor einigen Tagen spülte es mir auf Facebook ein schier unglaubliches Video in die Timeline. Gezeigt wurde eine „Beratung“ auf Astro-TV, in der der selbsternannte „Starhellseher“ Daniel Kreibich irgendwie telepathisch in den Chakren einer gewissen Wilma herumfuhrwerkte, um sie vom „Karma“ einer danebengegangenen Beziehung zu befreien. Dabei bediente er sich eines Diamanten der Ewigkeit, in dem wohl die negativen Energien neutralisiert werden. Dieses Teil ähnelt frappierend den Dekosteinen, die ich schon mal bei IKEA gesehen habe. Kostenpunkt um die 10€.

Am nächsten Tag hatte ich eine echt geniale Idee: Ich fahre jetzt zu IKEA und besorge mir 50 solcher „Glasdiamanten“ für ungefähr 10 Euro das Stück. Die lege ich in eine Schale, zünde Räucherkerzen an und bete mit darüber gehaltenen Händen 100 mal das Jesusgebet oder den Rosenkranz. Alternativ kann ich mir in der Küche auch ein bisschen Wasser weihen und drüber sprenkeln. (Das sich dann noch als Energiestein-Tinktur weiter verwenden lässt, 15 Euro die 100ml-Flasche.)

Dann verticke ich die Glassteine für den 10fachen Preis als „energetisch geladene Heilsteine zur Chakrenreinigung“ – was immer das heißen mag, irgendein Depp wird sie schon kaufen.

Ganz ehrlich: Ich glaube, das würde funktionieren. Sofern es mir gelingt, eine kleine Truppe wahrhaft „Gläubiger“ aufzutreiben und soweit zu manipulieren, dass sie überall in den höchsten Tönen von mir schwärmen. Wenn ich im richtigen Modus bin, sollte auch das zu schaffen sein. Wenn ich will, kann ich nämlich „Buddha“ (jedenfalls äußerlich).

So dachte ich. Dann spürte ich – mental und spirituell, nicht materiell und doch sehr real – wie die Hand des Herrn schwer auf meine rechte Schulter fällt. Der Herr steht vor mir, blickt mir sehr besorgt in die Augen, mit diesem Blick der sagt: „Mädchen, du bist grade dabei Scheiße zu bauen!“ Und ich denke: Warum eigentlich darf jeder Idiot mit so einem Quatsch Geld verdienen? Es ist so verdammt leicht, Menschen die spirituell gesehen Analphabeten sind (und sich selbst für spirituelle Riesen halten) übers Ohr zu hauen! Und noch leichter geht es mit Menschen, die einfach nur Sehnsucht nach irgend etwas haben, sei es Liebe, Reichtum, Ansehen oder was auch immer.

„Sorry, Chef“, sage ich. „Mach ich natürlich nicht. Man wird ja wohl noch ein bisschen herumspinnen dürfen…“

„Dunkel diese Seite ist!“, konstatiert er nüchtern.

Ja, sehr dunkel. Denn es ist die Seite der geistlichen Manipulation und des Missbrauchs menschlicher Sehnsüchte. Bestes Gegenmittel? „….und führe uns nicht in Versuchung….“

Es wird andere Verdienstmöglichkeiten geben.

4 Kommentare zu „Kristalle, Scharlatane und die 6. Vaterunserbitte

  1. Willkommen in meinem Alltag. Solche Gedanken hatte ich auch schon oft, weil ich sehen kann wie viele Menschen mit den abstrusesten Dingen Geld bis zum Umfallen machen. Es ist ein wenig gruselig das mit anzusehen.Das betrifft ja nicht nur so Kristalle sondern durchtränkt die gesamte Spirit-Szene – auch in den großen Religionen. Da gibt es Badekugeln, die dich mit einer nordischen Gottheit verbinden sollen oder Runen aus Knetmasse. Was ist der Unterschied zwischen so super-komischen Diamanten und angeblichen Reliquien christlicher Heiliger, zu denen die Menschen pilgern und sich Heilung erhoffen? Kleine Bildchen und Anhänger usw. gibt’s ja auch noch (man denke an den Hl. Christophorus, den viele im Auto haben). Ganz rational betrachtet, was ist der Unterschied?

    Vielleicht liegt das Problem im Mangel an (Übergangs-)Ritualen in unserer Gesellschaft. Rituale die einem helfen Dinge abzuschließen, Rituale die einem helfen neu anzufangen, zu vergeben (sich selbst und anderen). Manchmal reicht ein Gebet eben nicht. Da kann dann so ein „Diamant“ und ein wenig Weihrauch, ein wenig Brimborium und selbstbewusste Worte des Ausführenden viel bewirken. Es gibt Leuten die sich dessen bewusst sind. Zum Beispiel KartenlegerInnen die sich im Klaren darüber sind, dass sie eigentlich eine Art von Seelsorge betreiben und daher verantwortungsbewusst mit der Sache umgehen. Es gibt aber auch sehr viele skrupellose Idioten und das da im TV… das sind die krassesten Negativbeispiele.

    Ich finde es würdelos mein Geld auf diese Weise zu verdienen, auch wenn ich es könnte. Und ähnlich wie bei dir weiß ich, dass mein Chef das nicht so dolle fände.

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  2. 🙂 Ich hab auch den Christopherus im Auto und trage manchmal die „wunderbare Medaille“. Unterschied? 1) der Preis. 2) mein Schmuckverkäufer dreht mir keine überteuerten Sachen an 3) ich weiß dass es nicht die Dinge sind, sondern die Macht Gottes. Die Dinge helfen mir mich zu erinnern. 4) Reliquien find ich auch seltsam.

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    1. >>>ich weiß dass es nicht die Dinge sind, sondern die Macht Gottes

      Genau das ist der Punkt. All das Zeug ist „eigentlich“ nicht nötig. Aber es kann helfen. Zum Beispiel sich auf etwas zu fokussieren.

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  3. *schmunzel* Ich kam nicht umhin, beim Lesen an einen gewissen Ex-Fernsehpopen namens Mücke äh Fliege zu denken … der wollte mit bebeteten Wässerchen (49€ Schnäppchenpreis für 100ml, hab ich mal gelesen) Kohle machen, weil angeblich auch die Kirche Segen nur gegen Geld abgäbe, sowas also völlig normal sei. Würd ihm ja wünschen, dass er Deine Zeilen mal liest und dadurch ein bissl nachdenkt.

    Und ja, nicht die Symbole sind Gott, nicht sie haben Macht, sondern Er. Aber eine anschaubare und greifbare Erinnerung an Sein Handeln ist trotzdem unverzichtbare Hilfe (sonst bräuchten wir keine Kreuze in den Kirchen, keine Krippen etc.).

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