„Frei wovon?“

Jedes Mal, wirklich jedes Mal, wenn ich auf Twitter oder Facebook oder sonstwo schreibe, ich hatte oder habe demnächst eine „freie Trauung“ oder „freie Beerdigung“ kann ich darauf wetten, dass irgendein ehemaliger Kollege (Pfarrer, Pastor) kommentiert: „Frei wovon?“

Na gut, dann lasst es mich erläutern.

Letzte Woche hatte ich eine „freie Beerdigung“. Verstorben war ein pensionierter Lehrer, hoch engagiert in der Lokalpolitik, hoch kreativ im Ausleben von experimentellen Lebensmodellen und in der schöpferischen Gestaltung der ihn umgebenden Umwelt – und seit Jahren aus der Kirche ausgetreten, ebenso wie seine Gattin.

Die ganze Familie hatte sich Monate lang äußerst würdevoll auf das baldige Sterben ihres Vaters vorbereitet. Der Sohn, Designer, hatte eigenhändig eine Urne und einen Sarg gezimmert. Ich wurde mit der Vorbereitung der Trauerfeier beauftragt. Ein intensives Gespräch mit Witwe und Sohn ergab: Nein, der Verstorbene hatte, soweit wir wissen, absolut keine Vorstellung von einem „Leben danach“. „Können wir denn trotzdem ein Vaterunser beten?“, fragte ich, nun selber etwas betreten. Antwort: „Nein, lieber nicht. Erstens passt es einfach nicht, weil der Verstorbene eben niemals dieses Gebet gebetet hat (außer vor sehr langer Zeit), zweitens kommen zur Trauerfeier etliche Menschen ohne jegliche kirchliche Sozialisation.

Frei wovon also sollte die Trauerfeier sein?

Frei von Konventionen, die mir als ehemaliger Pfarrerin und Christin zwar vertraut sind, die aber der Mehrheit der Anwesenden einfach keinen Halt bieten und dem Verstorbenen in seiner Wesensart nicht gerecht werden.

Auch wenn viele das mit Sicherheit nicht verstehen können – es gibt Menschen, die nicht nur aus der Kirche ausgetreten sind, sondern auch mit einer Art „christlichen Restgläubigkeit“ nichts anfangen können. Soll man die jetzt im Sterbefall nachträglich doch noch irgendwie christlich vereinnahmen, oder anderes Extrem, mit Floskeln wie „er lebt in unseren Erinnerungen“ zu Grabe tragen, die letztlich nichts aussagen?

Es geht darum, eine Form zu finden, die dem Verstorbenen und den Angehörigen gerecht wird, wobei ich mich als freie Theologin manchmal an christlichen Formulierungen orientieren kann – und oft eben nicht. Es geht um die innere und äußere Freiheit, einen Abschied so zu gestalten, dass darin etwas wie Trost und Sinn spürbar wird, auch dann, wenn Verstorbener oder Angehörige der kirchlichen Tradition entwachsen sind oder nie darin wurzeln konnten oder wollten. Und das dann nicht als Defizit zu betrachten, sondern als eine gleichwertige Möglichkeit neben dem „Christlich-Vertrauten“.

Manchmal, wenn ich davon überzeugten Christen erzählen, und die mich dann nur mitleidig anschauen nach dem Motto: „So ein Leben hat doch seinen Sinn verfehlt, was gibt es da denn noch für Hoffnung?!“, möchte ich am liebsten fragen, ob die Betreffenden eigentlich Respekt für die Lebensleistung eines Menschen aufbringen können, der in seinem Glauben, nicht-Glauben oder völlig anderem Wertesystem eben zu anderen Schlüssen kam, als sie selbst? Und wenn nicht, ob das denn so besonders christlich ist? Und vor allem: Was die Alternative zu einer mit Herzblut vorbereiteten „freien Beerdigung“ ist? Den Verstorbenen „wort- und sinn-los“ verscharren? Ein Theologe muss m.E. auch dann etwas Sinnvolles sagen können, wenn er „Ungläubige“ vor sich hat, ohne sie zu vereinnahmen.

Analog zu durchdenken auch für „freie Trauungen“ und sonstige Feiern.

 

6 Kommentare zu „„Frei wovon?“

  1. Das kann sehr gut und fruchtbar sein. Auch für Gläubige, die sich manchmal fragen, was vom gewohnten Christentum übrigbleibt, wenn das Korsett altbekannter Denk- und Sprechbausteine mal weggelassen wird.

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  2. Trotzdem – ich sage das deutlich auf der Basis von Bonhoeffers „religionsloser Interpretation des Christentums“ – hat das „frei“ einen merkwürdigen Beigeschmack, weil er mir Unfreiheit unterstellt und zugleich etwas Rechtfertigendes enthält. Einfach „Rednerin“ würde reichen. Oder „theologische Rednerin“, damit die Leute wissen, mit wem sie es zu tun haben und nicht mit Fragen nach dem Vaterunser u.U. düpiert werden. Ist eben alles noch nicht etabliert.

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  3. Ich würde das „frei“ gar nicht wertend auffassen, sondern im Sinne von „ungebunden“ (an eine bestimmte Konfession, Religion etc.). Ich habe den Eindruck, dass PfarrerInnen, die sich durch den Begriff „frei“ provoziert fühlen, (noch) nicht akzeptieren können, dass verschiedene Formen von Ritualen gleichwertig nebeneinander stehen können.

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  4. Die Frage „frei – wovon?“ ist durchaus berechtigt. Zumal allgemein das Führen eines Attributs ausdrückt „das hebt mich von den anderen ab“, mit anderen Worten: ich bin frei – und ihr nicht. Da muß sich beispielsweise eine „Christliche Versammlung“ oder „Gemeinde Gottes“ auch hinterfragen lassen. Oder meine lieben Mitchristen vom Nachbar Kirchturm, die gern mal „christlich“ als Synonym von „römisch-katholisch“ (miß)verstehen.
    Man darf aber gern die epidermische Reaktion für sich behalten und über den Sinn der Freiheit nachdenken – Freiheit: wozu? Und auch: wie frei ist denn ein Christenmensch wirklich?

    Ich bin jedenfalls in diesem Sinn unfrei: eine Beerdigung ohne Gebet und Verkündigung könnte ich nicht halten. Nicht durch äußere Bindung (die Ordinationsversprechen der ERF sind doch sehr vage), sondern durch innere Bindung. Ich kann nicht unchristlich. „Als ich es wollte verschweigen, verschmachteten meine Gebeine“…

    Welche Form das annimmt, ist eine ganz andere Frage. Insofern gepfiffen auf Tradition – lieber hab ich ehrliche Atheisten als geheuchelte Scheinchristen. Aber wer sich an mich wendet, bekommt Botschaft von Jesus Christus. In welcher Form auch immer, traditionell ist unsere Liturgie ja auch nicht.

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  5. Ich würde mir keine heimliche (rück)Christianisierung beim Begräbnis wünschen, sondern wenn ich in der Zeremonie nicht meine persönliche Religion repräsentiert fände, etwas universelles, frei von einer bestimmten Religion. Etwas was meiner Spiritualität Raum gibt, ohne zu begrenzen. Redner und Zeremonie sollten frei von ihren eigenen Vorstellungen sein, wenn sie schon nicht meins sein können. Keinesfalls würde ich eine beschränkende Vereinnahmung durch das herrschende (christliche), sonstige Mutmaßungen (whatever) wünschen. Ich lehne es dann ab, und hätte dann lieber keine Zeremonie.
    Soviel Freiheit, seine persönliche Sicht da rauszulassen, sollte ein freier Redner dann schon haben.

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