2017 steht in den evangelischen Kirchen ganz im Zeichen des 500jährigen Jubiläums der Reformation, genauer gesagt: Deren Startschuss am 31. Oktober 1517, der Tag, an dem (zumindest sagt das die lutherische Legendenbildung) Martin Luther seine 95 Thesen an der Tür der Schlosskirche zu Wittenberg anschlug.
Nun will ich die Bedeutung dieses historischen Datums in keinster Weise schmälern. Die Reformation hat vieles ins Rollen gebracht, wovon wir heute noch profitieren. Innerkirchlich (Gottesdienste in deutscher Sprache und damit allgemein verständlich) wie gesellschaftlich (allgemeine Schulpflicht, Armenfürsorge,…). Die Bedeutung der Lutherbibel für die Entwicklung der deutschen Sprache wird kaum jemand bestreiten. Die Lehre von der Rechtfertigung und damit verbunden die Betonung der „Gnade“ (bedingungslosen Liebe) Gottes hat viele geknechtete und angefochtenen Seelen froh gemacht und einen neuen Zugang zum Glauben eröffnet.
Auch zum Jubiläumsjahr geschieht sicher viel Gutes, vor allem im ökumenischen Miteinander, Versöhnung der Konfessionen, Bildungsveranstaltungen und manches andere.
Was ich aber zunehmend seltsam finde, sind die Blüten, die das „Gedenken“ an Martin Luther mancherorts treibt. Nun habe ich das Glück in Coburg zu leben, der wohl bedeutendsten „Lutherstadt“ im Freistaat Bayern, und bekomme auf diese Weise so einiges mit.
Die örtliche Buchhandlung vertreibt neben der überarbeiteten Lutherübersetzung der Bibel Kühlschrankmagnete und Flaschenöffner mit Luther-Konterfei, Lutherkalender, Luther-Spruchkarten und Lutherplakate. Nicht weit von hier vertreibt eine Brauerei Lutherbier. Bei einem Vortrag neulich schenkte mir jemand Kaffee, aber nicht irgendeinen Kaffee, sondern „Frau Käthe“-Kaffee. In Düsseldorf wollte eine kirchliche Jugendorganisation Kondome mit Luthersprüchen verteilen („Hier stehe ich, ich kann nicht anders“, und das ist kein Witz). Letzteres Unterfangen wurde dann von der Evangelischen Kirche im Rheinland doch unterbunden.
Nun könnte man sagen: Naja, die frohmachende Botschaft von der Freiheit eines Christenmenschen, die Martin Luther uns geschenkt hat, will eben unters Volk gebracht werden. Identität soll gestiftet werden. WIR sind Lutheraner (ich ja nicht mehr, aber das ist ein anderes Thema).
Das führt mich aber zu der Frage: Wie ausgehöhlt muss die Identität einer Glaubensgemeinschaft eigentlich sein, dass man sich über derartigem Nippes ihrer versichern muss? Und ehrlich gesagt glaube ich, wenn ich den Käufer des Lutherkühlschrankmagneten einmal fragen würde, welcher zentrale Gedanke Martin Luthers ihm denn am wichtigsten ist, wüsste er keine eindeutige Antwort.
Ich persönlich nehme es so wahr: Martin Luther ist für sehr viele evangelische Christen eine Art Etikett, das eigentlich nur sagt, dass man nicht katholisch ist und auch nicht nichts glaubt. Was man aber glaubt, das weiß man auch nicht so recht. Aber dieser Luther war halt irgendwie gut, und weil wir nicht katholisch sind und uns das ganz wichtig ist, darum feiern wir jetzt dieses Jubiläum.
Schon in meiner Zeit als Pfarrerin geriet ich einmal mit einem Gemeindeglied aneinander, das mir vorwarf, nicht „lutherisch“ genug zu sein. Ich erwiderte drauf, dass ich meine Identität nicht aus Martin Luther ziehe, sondern aus meiner Verbindung zu Jesus Christus und meine Taufe auf ihn hin. Und ich vermute stark, dass auch Luther selbst und seine Anhänger sich nicht als „Lutheraner“ bezeichnet hätte. Ihm ging es um die Wiederentdeckung der christlichen Wurzeln, der Liebe Gottes, die Liebe zur Bibel und um die Frage: „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“
Vermutlich würde er sich selber sehr darüber wundern, warum evangelische Christen sein Jubiläum begehen. Ich sehe die Gefahr, dass hier wieder einmal eine Nebensache zur Hauptsache gemacht wird. Sehr viele Zeitgenossen werden das Lutherjubiläum zwar am Rande wahrnehmen, aber mehr auch nicht. Mit gelebtem Glauben und einer lebendigen Beziehung zu Gott hat das Ganze meiner Ansicht nach nur sehr am Rande etwas zu tun.
Die touristische Auswertung dieses Events war von Anfang an ein großes Problem, auf das weder die Kirche noch die staatlichen Stellen, die im Kuratorium des Lutherjubiläums sowie im gemeinsamen Verein in irgendeiner Weise miteinander Kontakt halten, einhegen konnten. Es nervt ungeheuer. Dazu kommt die Eigendynamik von professioneller und kommerzieller Öffentlichkeitsarbeit, die nur schwer einzufangen ist und ein ungeheuere säkulare Dynamik hat, die sich theologischen Argumenten kaum zu öffnen in der Lage ist. Daran sind wir als Kirche nun tatsächlich einmal relativ unschuldig. Aber, das möchte ich doch gerne betonen: im Vergleich mit den letzten Luther- und Reformationsjubiläen ist mir das tausendmal lieber als die nationalistische oder konfessionelle Vereinnahmung. DAS ist definitiv vorüber. Und ein Fortschritt. Tatsächlich zeichnet sich gerade die ökumenische Dimension als ein wesentlicher Ertrag der Lutherdekade ab. Meckern ist immer einfach, Gestalten ist schwierig – ein Satz, der Dir aus Deiner kirchlichen Zeit ja noch vertraut sein sollte. Es gibt unglaublich viele Kenner und Spezialisten.
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