Mystik

Tagebucheintrag vom 11.6.2020

Auf der Suche nach meinen geistlichen Wurzeln ist mir ein Buch in die Hände gefallen, das seit Jahren ungelesen im Regal stand. Ein guter Freund schenkte es mir vor langer Zeit, mit der dringenden Empfehlung, es zu lesen. Da er mich gut kennt, wusste er wohl, warum er es mir so warm ans Herz legte damals. Warum auch immer, ich habe mich Jahre lang darum gedrückt. Das Buch: Walter Nigg, Heimliche Weisheit.

Es geht darin um die Mystik als eine heimliche und häufig verfehmte Unterströmung im Protestantismus.

Wenn es auch für manche seltsam klingt: Ich bin Mystikerin. Ein Satz, den ich mich hier wohl erstmals öffentlich zu schreiben traue. Ich bin es und ich war es, solange ich denken kann. Seit meiner Taufe mit 20 Jahren mit einer glühenden Jesus- und Gottesliebe. Davor gleichsam anonym als eine Staunende. Jedenfalls war da immer etwas in meinem Herzen,wodurch ich mich Gott, dem Kosmos, dem Geheimnis des Lebens, wohl tiefer verbunden wusste, als andere. Mit vielen Fragen und Zweifeln. Mit vielen Anfechtungen, ob ich mir das alles nur einbilde. Oder verrückt bin.

Ich bin es nicht.

Ich bin Mystikerin. Und erst jetzt, nach und nach, wird mir klar, wieviel mein Leiden in und an Kirche und Theologie damit zu tun hatte, dass ich, gewissermaßen naiv, davon ausgegangen war, dass doch die Kirche ein Ort ist, an dem Menschen über solche Erfahrungen reden und sie teilen können. Ich war ja nicht in der Kirche aufgewachsen. Wo also, so dachte ich, wenn nicht hier?

Mir war anfangs gar nicht klar, wie selten solche Erfahrungen sind. Auch wenn ich zum Glück immer Weggefährten gefunden habe. Manche allerdings in weiter räumlicher Distanz.

Bis heute weiß ich nicht, wie andere eigentlich ohne diese intensiven Erfahrungen der Gottesnähe glauben können. Ich wäre längst verzweifelt oder erst gar nicht zum Glauben gekommen. Zwar sind diese unmittelbaren Gottesbegegnungen auch bei mir sehr viel seltener geworden, aber ich hatte und habe sie.

Nun, in der zweiten Lebenshälfte angelangt, frage ich mich, wie ich sie wirklich fruchtbar werden lassen kann, auch für andere.

Aber vielleicht ist die Frage falsch gestellt.

Christus lebt längst in mir. Vielleicht geht es einfach darum, loszulassen und IHN durch mich wirken zu lassen.

Mir fehlen oft Geduld und Liebe, aber ER ist Geduld und Liebe. Mein Herz immer wieder bei IHM zur Ruhe kommen und IHN wirken lassen.

ER in mir und ich in IHM.

Ich durch IHN und ER durch mich.

Mich von IHK anschauen lassen und SEINEN Blick erwidern, bis ich nicht nur im Kopf weiß, dass wir EINS sind.

Herr ich schaue auf dich, und du siehst mich.

Amen.

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