Gemeinschaft

So sehr sich meine ersten mystischen Erfahrungen allesamt im Stillen Kämmerlein meines eigenen Herzens abspielten, so sehr sehnte ich mich auch bald nach der Gemeinschaft mit anderen Gläubigen.

Ich begann, sonntags regelmäßig den Gottesdienst in der Lutherkirche (München Giesing) zu besuchen und sang bald alle Lieder und die Liturgie andächtig mit. Denn gesungen habe ich schon immer gern und in diversen Chören; Atem und Stimme sind etwas Wunderbares und oft singe ich auch, wenn ich alleine bin, aber natürlich viel lieber in Gemeinschaft. Das gemeinsame Singen im Gottesdienst verbindet meine Leidenschaft für Musik mit meiner Leidenschaft für Gott. Das war damals so, als ich meine ersten Gottesdienste besuchte und ist es bis heute.

Ansonsten erlebte ich den normalen Sonntagsgottesdienst aber, um ehrlich zu sein, nicht gerade als gemeinschftsfördernd, weil es keinen echten Austausch zu Glaubensthemen gab, und als eine frisch für Jesus und die Liebe Gottes Entbrannte sehnte ich mich danach.

Das Theologiestudium bereitete mir von Anfang an Freude. Gerne ging ich auch mit Kommilitonen in den Vorlesungspausen einen Kaffee trinken und gewann viele neue Freundinnen und Freunde. Manche dieser Freundschaften halten bis heute. Aber so richtig über Glaubensthemen konnte ich auch hier nicht sprechen. Zumindest nicht damals.

Dann fragte mich eines Tages eine Kommilitonin, ob ich schon mitbekommen habe, dass eine Gruppe von Studenten unterschiedlichster Fachrichtungen jeden Mittag eine halbe Stunde lang mit Liedern aus Taize in einer nahen Kirche betet. Und dieses Taize-Gebet wurde dann jeden Mittag für mich eine willkommene Oase. Hier lernte ich dann einen anderen Kommilitonen kennen, der beiläufig erwähnte, dass in St. Lukas ein neues Gottesdienstprojekt anlaufen soll. Er drückte mir einen Flyer in die Hand. Ich las: „Die Thomasmesse. Ein Gottesdienst für Zweifler und andere gute Christen“.

Von dem Untertitel, der Zweifler in die Reihen der anderen guten Christen einordnet war ich sofort begeistert. Da noch Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gesucht wurden, nahm ich sofort Kontakt auf und war bald fester Teil des Teams um die Münchner Thomasmesse.

Hier fand ich endlich, was ich gesucht habe: Eine echte geistliche Gemeinschaft, die aber nicht im eigenen Saft briet, sondern nach außen hin fruchtbar wurde. Die Thomasmesse etablierte sich bald als fester Bestandteil des gottesdienstlichen Lebens in München und zog Christen und Suchende aus den verschiedensten Konfessionen an. Selbst aus der Kirche Ausgetretene fanden hier eine geistliche Heimat, denn wir fragten bei der Thomasmesse nicht nach Kirchen- oder Konfessionszugehörigkeit. Jeder war willkommen, ob gläubig oder suchend oder beides zugleich. Diese bunte Vielfalt spiegelte sich auch in unserem Gottesdienstteam.

Da war zum Beispiel Luise. Als Inhaberin eines Kosmetiksalons verkaufte sie nebenbei Dessous und war leidenschaftliche Verfechterin eines esoterischen Christentums, welches sie in breitem Münchnerisch und mit Feuereifer vertrat.

Da war Georg, ein katholischer Bäcker, eher still und pragmatisch und dem Geist von Taize zugetan.

Da war Elke, eine Bankerin, geprägt durch einen langjährigen Aufenthalt in Irland, mit gesunder Skepsis und Humor auf der Suche nach einer geistlichen Heimat.

Wir hatten Teammitglieder aus Freikirchen, völlig unkirchliche Menschen, ab und zu auch Ordensleute, homosexuelle Christen, die nach kirchlichen Verletzungen zögernd wieder Anschluss suchten.

So vielfältig wie die Biografien waren auch die Gaben, die jeder und jede einbrachte. Es gab nur ein unumstößliches Gesetz in unserem Kreis: Wir lassen einander gelten. Jesus ist die einende Klammer. Wir urteilen nicht übereinander, sondern wir feiern miteinander die Thomasmesse.

Vor jeder Thomasmesse trafen wir uns zwei Mal reihum bei jedem Teammitglied. Es gab etwas zu Essen. Wir sangen gemeinsam und beteten. Wir einigten uns auf einen Prediger oder eine Predigerin, meist aus unseren eigenen Reihen und legten weiter Rollen im Gottesdienst fest: Moderation, Musikteam, Abendmahlsleiter (die einzige Funktion, die nur ein Pfarrer oder eine Pfarrerin wahrnehmen darf), Fürbittteam, Segnungsteam.

Beim zweiten Treffen stellte der Prediger oder sie Predigerin das Thema vor und las den Bibeltext dazu. Reihum ergänzte jeder und jede, was ihm daran wichtig war, wodurch die Predigt immer sehr lebendig wurde.

Das alles funktionierte viele Jahre lang wirklich wunderbar. Die Thomasmesse wurde ein echter Magnet, weil die Leute eben merkten, dass sie mit Herzblut vorbereitet wurde und es stießen auch immer neue Leute zum Team dazu. Diese Gemeinschaftserfahrung wurde prägend für mein Bild von Kirche und ist es bis heute.

Die Thomasmesse hat meinen Glauben geerdet. Das war wichtig. Ich begriff, was Kirche ist. Nämlich eine Gemeinschaft geistlich Suchender, sich gegenseitig tragender Menschen durch die Jesus sich im Hier und Jetzt manifestiert. Konkret, in jedem, der sich seinem Geist öffnet. Es ist eine Gemeinschaft der Suchenden, der Verwundeten, der Hoffnungsvollen, der Zweifelnden, der Betenden und vor allem der Hörenden. Wo Kirche nicht hört, sondern nur redet und belehrt, da verflüchtigt sich der Heilige Geist.

Die Thomasmesse war deshalb so lebendig, weil wir Hörende waren. Aufeinander und auf das Wort Gottes hörend. Weil wir trotz allem Engagement auch lange stille Gebetszeiten hatten. Und weil in allen Aktivitäten auch immer Zeit zum Gebet war.

Der Pfarrer, der damals die Idee der Thomasmesse aus Helsinki nach München geholt hatte, war Tilmann Haberer, und der wurde für mich noch in vieler anderer Hinsicht wichtig.

Ebenso Andreas Ebert, damals als Pfarrer ganz frisch in München an St. Lukas. Beiden verdanke ich sehr viel.

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