Eine theologische Frage beschäftigte mich, nachdem ich Christin geworden war, mehr als alle anderen. Und zwar die, ob der Glaube an Jesus Christus nun der einzige, exklusive Weg zu Gott ist. Oder ob andere Religionen und Weltanschauungen auch irgendwie Recht haben.
Für mich war das eine sehr existenzielle Frage. Die Vorstellung, einer Religion anzugehören, für die die meisten anderen Menschen entweder Objekte der Mission oder ewig Verdammte wären, widerstrebte mir zutiefst. Nicht nur, weil viele mir liebe Menschen keine Christen sind. Sondern auch, weil ich Gott ja ganz anders erlebt hatte, viel universeller, viel größer.
Dennoch machte ich zu Beginn meines Theologiestudiums (ausgerechnet im theologisch sehr liberalen München) auch die Bekanntschaft einiger wohl evangelikal geprägter Kommilitonen, die mir buchstäblich die Hölle heiß machen wollten.
Meine mystischen Anwandlungen seien eine ganz schlimme Sünde, allein die Bibel enthielte die Wahrheit, wer nicht Jesus als seinen persönlichen Herrn annimmt, der werde verdammt und käme in die Hölle, und ja, natürlich liebt Gott alle Menschen, aber wer vor seinem Tod nicht Buße getan und sein Leben Jesus übergeben hat, dem sei halt nicht mehr zu helfen.
Eine Zeit lang war ich wirklich verunsichert. Die evangelikale Interpretation dessen, wie ein Mensch gerettet wird, ist ja in sich auch plausibel, wenn auch etwas primitiv. Das geht so:
1) Alle Menschen sind Sünder. Weil alle gesündigt haben und Gott gerecht ist, verdienen sie alle eine Strafe.
2) Die Sünde trennt unüberbrückbar von Gott. Jesus aber, Gottes einziger Sohn, hat stellvertretend am Kreuz die Strafe für unser aller Sünden auf sich genommen.
3) Wenn du dich zu Jesus als deinem Herrn bekennst und Buße für deine Sünden tust, dann übernimmt er auch die Strafe für dich.
4) Wenn nicht, dann kommst du leider in die Hölle. Das gilt für jeden und jede, der oder die die Gelegenheit gehabt hätte, sich für Jesus zu entscheiden. (Für bislang unmissionierte Naturvölker gilt freundlicherweise eine Ausnahme).
Mir war diese Art der Theologie von Anfang an von Grund auf zuwider. Hölle für Ungläubige? Ewige qualvolle Pein, nur weil jemand das Pech hatte, einfach nicht glauben zu können? Gleichzeitig wurde auch vonseiten dieser Kommilitonen betont, wie sehr doch der Glaube ein Geschenk ist. Bestraft Gott Menschen dafür, dass er ihnen dieses Geschenk nicht gemacht hat?
Ich habe tatsächlich um das Jahr 1995 herum Menschen kennengelernt (und vermutlich gibt es solche auch heute noch), die an einen Gott glauben können, der einer großen Mehrheit aller Menschen nach ihrem Tod immerwährende Qual bescheren wird, weil sie sich nicht rechtzeitig entschieden haben, so an ihn zu glauben, wie er es für richtig hält. Mit Verlaub, Gott, dachte ich – wenn die recht haben, kannst du mir gestohlen bleiben.
Ohne es damals (ich war ja noch ganz am Anfang des Studiums) bis ins Letzte theologisch begründen zu können, war mir klar: Das kann nicht stimmen. Gott ist die Liebe. Die Liebe verdammt nicht. Sie versteht, sie verzeiht, sie bringt auf den richtigen Weg, sie verurteilt nicht. Sie ist „langmütig und freundlich“, wie Paulus schreibt (1. Korinther 13). Gott ist auch gerecht. Doch was ist Gerechtigkeit? Einem Menschen völlig gerecht zu werden, heißt doch immer auch zu verstehen, wie er der wurde, der er ist. Und wenn Gott die Liebe ist, die vollkommene Liebe, dann kann es einfach nicht sein, dass auch nur ein einziger Mensch wirklich auf ewig zu Feuer und Qual verdammt wird.
Später im Studium las ich, dass ich mit dieser theologischen Meinung nicht allein dastehe und dass man hier von der Lehre der Allversöhnung spricht, die von vielen immer noch als Häresie angesehen wird, quer durch die Konfessionen.
Tatsächlich gibt es in der Bibel Abschnitte, die die Existenz einer ewigen Hölle zu bestätigen scheinen. Es gibt aber auch Verse, die in eine andere Richtung deuten.
„Der letzte Feind, der vernichtet wird, ist der Tod. Denn alles hat er (Gott) unter seine (Jesu) Füße getan. … zuletzt aber wird auch der Sohn (Jesus) dem Vater untertan sein, damit Gott sei alles in allem.“ (1. Korinther 15,28)
Wenn einmal Gott ALLES IN ALLEM ist, dann ist da schlicht kein Platz mehr für eine Hölle. Es sei denn, die Hölle wäre in Gott oder Gott in der Hölle, was ja komplett widersinnig ist.
An einigen anderen Stellen ist zwar die Rede davon, dass jeder Mensch sich einmal vor dem „Richterstuhl Christi“ für sein Leben verantworten muss. Das heißt aber nicht zwingend, dass es eine ewige Verdammnis gibt.
Ein Vers, der gerne bemüht wird, wenn es darum geht, dass nur Jesus der richtige Weg zu Gott ist, steht im Johannesevangelium. Christus sagt dort: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater, denn durch mich.“ (Johannes 14,6).
Man kann diesen Vers als einen exklusiven Anspruch lesen und ihn damit eng fassen. Nur wer Jesus kennt und an ihn glaubt, ist auf dem richtigen Weg.
Man kann ihn aber auch mit innerer Weite lesen. Überall dort, wo Leben ist, überall dort, wo Menschen innerlich lebendig werden und wo wir anderen zu ihrem Lebensrecht verhelfen, ist unerkannt auch Jesus. Überall dort, wo jemand aufrichtig um Wahrheit ringt und die Wahrheit ans Licht kommen darf, ist der Geist Jesu lebendig. Überall, wo jemand sich ehrlichen Herzens auf einen Weg macht, auch wenn er sich dabei scheinbar verläuft, ist er mit Jesus unterwegs, auch dann, wenn er ihn nicht oder noch nicht erkennt.
Ich persönlich kann und will an keinen Gott glauben, der verdammt. Wenn es eine Hölle gibt, was ich bezweifle, dann besteht die Hölle darin, dass jemand sich dem Licht Gottes auch dann noch bewusst und aus freier Entscheidung verschließt, wenn er es einmal gesehen hat (in dieser Welt in einer mystischen Erfahrung oder nach seinem Tod, wenn er davor eigentlich nicht mehr die Augen verschließen kann).
Ob es jemanden gibt, der diese Entscheidung trifft, weiß ich nicht.
Ich glaube es nicht.
Ich halte die Höllenpredigt – ein durchaus evangelikaler Studienkollege sprach von „Drohe Botschaft“ für, vorsichtig ausgedrückt, sehr fragwürdig. Mach ich nicht.
Aber die Spannung ist nun mal da zwischen einerseits „Gott will, daß alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“, und andererseits dem ja nicht nur einmal angesprochenen – ich nenne es mal augenzwinkernd dualen System: hier die, die am Tisch sitzen, und da die, die draußen bleiben. Die Gleichnisse machen auch deutlich: irgendwann ist die Tür zu. Wer dann nicht drinnen ist, bleibt draußen.
Meine Annahme geht in diese Richtung: Gott will – aber zwingt nicht. Er lädt ein. Immer und immer wieder. Und für jeden kommt der Moment, wo es heißt, wenn du jetzt nicht einsteigst, fährt der Zug ohne dich ab, aber es ist immer noch deine Entscheidung.“ Und das ist dann die Scheidung (vulgo „Gericht“) zwischen denen, die drin sind, und denen, die draußen bleiben. Ihre eigene Entscheidung. Frei getroffen.
Ob das im Moment des letzten Atemzugs geschieht oder früher oder später, weiß ich nicht und macht mir keine schlaflosen Nächte: Gottes Zeit ist eh anders. Und meine Aufgabe ist nicht zu drohen a la „wenn ihr jetzt nicht reinkommt, dann setzt es was, wenn Vati kommt“, sondern einzuladen. Auch zu sagen, daß das eine ernste Sache ist und kein tralala – aber einzuladen.
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Für mich wäre die Anfrage hier: wenn jemand wirklich die Liebe Gottes begriffen hat, kann er sich dann überhaupt dagegen entscheiden? Ich meine nein. Und wer sie nicht begriffen hat – trifft der eine freie Entscheidung dagegen? Ich meine ebenfalls nein. Er kennt Gott nicht und kann sich deshalb auch nicht entscheiden. Und überhaupt – Ich entscheide mich für Gott??? Gut lutherisch kann niemand aus eigenem Entschluss hier zu einer Entsheidung kommen, es ist ein Geschenk. Wenn Gott aber will, dass alle gerettet werden, warum schenkt er dann dem einen den Glauben und den anderen nicht? Auf diesem Weg geht es direkt zur doppelten Prädestination.
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Nach menschlichem Ermessen, vielleicht. Ich neige hier aber eindeutig dazu, mehr auf die biblischen Texte zu hören als auf die theologischen Lehrmeinungen, die aus dem Wunsch entstanden sind, das uns Überragende in menschliche Kategorien zu zwängen.
Und da steht eben Lk.15 ein Vater vor seinen Kindern, die ihn nicht wollen, wie er ist. Sollten die Kinder die Liebe des Vaters nicht kennen, obwohl sie im selben Haushalt leben und am selben Tisch essen? Horribile dictu sed vere. Da steht, Joh.1,11: er kam in sein Heim, und seine Hausgenossen haben ihn nicht aufgenommen.
Es scheint, auch wenn wir uns fragen, wie kann jemand das ablehnen, wenn er es kennt – daß er kann. Gott zwingt niemanden zu seinem Glück. Er bittet: Laßt euch doch versöhnen!
Was dann das Los ist derer, die sich gegen ihn entscheiden, darüber weiß ich letztlich nichts. Die klassischen Vorstellungen von Hölle sind zwar pittoresk, aber nicht hilfreich, weil sie eine bunte Mischung aus altorientalischen und altägyptischen Mythen sind, angereichert durch Heulen und Zähneklappern und apokalyptische Bilder im Hieronymus-Bosch-Stil, die man viel zu wörtlich interpretiert hat.
Vielleicht ist es „einfach nur“ Nichts. Vielleicht ist es „einfach nur“ ein Leben ohne Gott. Mit Moral und Gesetz, mit ewiger Wiederkehr, mit allem, was Menschen so denken, nur (sic) ohne Liebe. Ohne den, der Liebe ist. Und „dem allemal das Herze bricht, wir kommen oder kommen nicht.“ (Joh. Andr. Rothe)
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Da sind wir uns einig, dass ein Leben ohne Gott im übertragenen Sinne die Hölle ist. Dann gäbe es sogar eine bequeme Hölle, die erst dann ungemütlich wird, wenn man scheitert oder in leidvolle Situationen gerät.
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Und überhaupt, wenn man an eine Hölle glaubt, wie kann einem das dann keine schlaflosen Nächte bereiten? Es geht hier um ewige Qualen für geschätzt dreiviertel oder mehr der Menschheit, nämlich alle, die sich nicht für Jesus entschieden haben.
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Liebe Christiane, aus Deinen mystischen Erfahrungen und Erwägungen muss unbedingt ein Buch werden!
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Liebe Christiane, beim Lesen Deines Beitrags sind mir ein paar Gedanken gekommen, die ich Dir jetzt so ganz unsortiert und ungeordnet zukommen lassen möchte. Ich hoffe du verzeihst mir, dass ich das so ganz unfachmännisch(frauisch) hier niederschreibe.
Zu Himmel und Hölle fällt mir ein, dass dies keine Orte sondern Zustände sind, in denen wir hier wie dort schon sind oder sein werden. So steht es in den Bahai-Schriften.
In einem Gebet heißt es außerdem: O Du vergebender Herr! Wenn auch manche Seelen die Tage ihres Lebens unwissend verbrachten, abgewandt und selbstsüchtig, so kann doch fürwahr das Meer Deiner Gnade mit einer Welle die Sünder erlösen und reinwaschen… . Handelst Du gerecht, so sind wir alle Sünder und verdienen, verstoßen zu werden. Und lässest Du Gnade walten, so wird jeder Sünder rein und jeder Fremde zum Freunde. Darum vergib und verzeih und gewähre allen Deine Gnade. Du bist der Vergebende, der Lichtspender, der Mitleidige! (aus dem Buch >..und zu Ihm kehren wir zurück<
Dass Menschen die nicht Christus nachgefolgt sind in ihrem Leben (bzw. nicht bewusst), weil sie vielleicht nie etwas von ihm hörten, dennoch zu Gott kommen können, davon bin ich überzeugt.
Alle Religionen entspringen der selben göttlichen Quelle und offenbaren sich, nach dem Ratschluss Gottes, als aufeinander aufbauende Kapitel in einem Buche Gottes. Die Absicht der Religionsstifter war stets, die Menschen in Einklang mit dem Willen Gottes zu bringen und so das Wohl des Einzelnen und der Gesellschaft zu begründen. Unterschiede zwischen den Religionen sind allein dadurch bedingt, dass die Boten Gottes zu verschiedenen Zeiten und an unterschiedlichen Orten gewirkt haben. Ihre Worte der Wahrheit können den menschlichen Charakter veredeln und die Herzen in liebevoller Verbundenheit vereinen. Ohne diese göttlichen Sprachrohre, die Gott uns immer wieder geschickt hat, kann der Mensch nicht zu Gott kommen, sie sind die Vermittler.
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du sprichst mir zutiefst aus dem Herzen!! Danke fürs Teilen 🙂
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