Spezialvikariat Spiritualität

Am Ende meines Vikariats in einer netten, „normalen“ Kirchengemeinde und aufgrund der Erkenntnis, dass das Gemeindepfarramt für mich zumindest schwierig ist, ergab sich erstmal eine erfreuliche Alternative. Die Landeskirche bot für erfolgreiche Absolventen des Vikariates ein sogenanntes Spezialvikariat „Spiritualität“ an, zum ersten Mal überhaupt. (Ob es das noch gibt, weiß ich nicht.) Spezialvikariat bedeutet, ein weiteres Jahr die Möglichkeit sich weiterzubilden zu spezialisieren.

Interessanterweise wollte fast die Hälfte unseres Vikariatskurses nach dem 2. Examen nicht in den Gemeindedienst. Die einen promovierten, die anderen gründeten erst mal eine Familie und gingen in Elternzeit, wieder andere machten Spezialvikariate mit unterschiedlichem Schwerpunkt. Es scheint, dass nicht nur ich die Gelegenheit begrüßte, dem „normalen“ Gemeindedienst erst mal noch zu entgehen.

Ich war, soweit ich weiß, die einzige Bewerberin auf das angebotene Spezialvikariat Spiritualität, und so durfte ich ein Jahr lang im Umfeld der evangelischen Kommunität Christusbruderschaft mein Herzensthema, Spiritualität, vertiefen und bekam Einblick in das Leben eines evangelischen Ordens, eben der Christusbruderschaft in Selbitz.

Die Schwestern (und Brüder, aber davon gibt es wenige) der Kommunität führen ein gemeinsames Leben, das dem katholischer Ordensfrauen stark ähnelt. Sie tragen eine ähnliche Tracht (einfaches graues Kleid, weißer Schleier, Brustkreuz), verpflichten sich wie ihre katholischen Schwestern den sogenannten evangelischen Räten Armut, Gehorsam und Keuschheit und leben die gute klösterliche Regel des Ora et Labora, des Wechsels aus Gebet und Arbeit. Außerdem betreiben sie ein Altenheim, ein Gästehaus mit spirituellem Kursangebot und wirken weit ins Umland durch Seelsorge, geistliche Begleitung und Gottesdienste, die auch für Gäste offen sind.

Ich sollte mich hier soweit möglich „einklinken“, ab und zu durfte ich in der Kapelle des Ordenshauses einen Gottesdienst halten, hauptsächlich aber bei Kursen und Seminaren mitwirken, manchmal als Teilnehmerin, manchmal als Referentin.

Neben fixen Terminen hatte ich sehr viel Zeit zum Lesen und Reflektieren des Erlebten.

Mir fiel von Anfang an auf, dass die Schwestern der Kommunität sehr unterschiedlich sind und auch in ihrer Frömmigkeit ein breites Spektrum aufweisen.

Einige praktizierten ihren Glauben eher kontemplativ, andere waren vom Pietismus her geprägt, wieder andere hatten einen Einschlag von der charismatischen Bewegung her. Ob es da wohl auch manchmal Reibereien und Konflikte gibt, kann ich nicht beurteilen. Nach außen zumindest wirkte die Kommunität auf mich sehr geschlossen und harmonisch. Jede konnte sein, die sie ist. Jede bringt sich so ein, wie sie es kann.

Während meines Jahres in Selbitz nahm ich an einem Kursangebot teil, das für Pfarrerinnen, Pfarrer und sonstige kirchliche Verantwortungsträger offen war. Es war die Ausbildung zur „Geistlichen Begleiterin“. Ich merkte: Genau das ist es, was ich tun will! Menschen auf ihrem Weg mit Gott begleiten. Nicht wie ein wissender Guru, sondern wie eine, die mit anderen auf der Suche ist und ihnen hilft, die Schätze christlicher Spiritualität zu entdecken und zu heben. Das fühlte und fühlt sich für mich stimmig an, das ist eine Art Berufung.  Ich war sehr glücklich über diese Entdeckung. Endlich hatte ich eine Möglichkeit gefunden, das zu tun, was mir wirklich am Herzen liegt. Menschen helfen, zum Kern ihrer Person vorzudringen, ihnen helfen, genau darin Gott zu finden.

Viele Dinge wurden mir in diesem Jahr klarer. Zum Beispiel bin ich oft gefragt worden, wie ich denn so sicher sein kann, dass ich in mir Gottes Stimme höre und nicht nur meine eigenen Fantasien.

Im Kurs „Geistliche Begleitung“ spielte das Thema der „Unterscheidung der Geister“ eine wichtige Rolle. Woran erkenne ich, wenn Gott mit mir spricht? Ich lernte genauer beobachten und hinzuhören.

Wenn Gott wirklich im Inneren spricht, tut er es unvermutet, unvermittelt und mit wenigen prägnanten Worten. ER hält keine langen Reden, er sagt genau so viel  wie es braucht, um jemanden voranzubringen, zu trösten oder ihm die Augen zu öffnen.

Wenn es wirklich Gott ist, dann widerspricht er auch nicht Kernaussagen des Evangeliums oder der Gebote. Gott wird niemandem befehlen, Gewalt anzuwenden oder z.B. Ehebruch oder Diebstahl gutheißen.

Gott hält auch keine langen Reden spekulativen Inhalts, zum Beispiel über himmlische Hierarchien oder vergessene Heilige Schriften (die er dann dem Empfänger womöglich wörtlich diktiert).

Wenn Gott zu einem Menschen ein inneres Wort spricht, dann ist es klar und deutlich. Man kann es eigentlich nicht überhören oder ignorieren. Es ist, als ob ein vertrauter Mensch dich beim Namen ruft. Du weißt, dass du gemeint bist und du weißt, was du jetzt zu tun hast, auch wenn das manchmal sehr unbequem ist.

KLARHEIT ist überhaupt DAS Kriterium für eine echte Gotteserfahrung. Während meiner Zeit in Selbitz lernte ich, wirklich darauf zu vertrauen, DASS Gott zu mir spricht und dass er das dann tut, wenn es richtig ist. Ich kann seine Stimme nicht irgendwie auf mich herabrufen. Oft schweigt Gott auch, mutet mir dieses Schweigen zu, verweist mich darauf, was er ja sowieso schon gesagt hat, in der Bibel oder zu einem früheren Zeitpunkt. Und manchmal schweigt er auch sehr lange.

Gott zu erleben ist in aller Regel kein rauschhafter ekstatischer Zustand. (Auch wenn es das ebenfalls gibt.) Es vollzieht sich eher im Stillen und in einer großen Klarheit und Nüchternheit.

In Selbitz lernte ich auch das „hörende Gebet“ kennen, das besonders in der Seelsorge oder im Beten für andere zum Tragen kommt. Beim Segnen legt man zum Beispiel still die Hände auf Rücken oder Schultern des anderen und tut nichts, außer innerlich zu lauschen. Ganz oft geschah es dann, dass mir oder einer anderen Person im Seelsorgeteam ganz klar ein Bibelvers in Gedanken kam, der, wenn man ihn laut aussprach, haargenau zu der Person passte, die gerade gesegnet wurde.

Ähnlich war es mit inneren Bildern. Ich segne einen Menschen und sehe ihn z.B. wie mit Stricken gefesselt. Obwohl ich nichts über seine Situation weiß. Ich spreche das aus, vorsichtig, fragend, ob der andere damit etwas anfangen kann, und es entspinnt sich ein langes Gespräch, der andere fühlt sich tatsächlich von diesem oder jenem Umstand, von seiner Vergangenheit, … wie gefesselt.

Am Ende meines Spezialvikariats war ich voll guten Mutes und guten Willens, das was ich dort gelernt hatte, auch in meiner künftigen Gemeinde in der Seelsorge einzubringen. Ich hatte „meins“ gefunden, ganz eindeutig, und mein „Müs-Tick“ würde anderen helfen, zu sich und zu Gott zu finden.

Ich war tief dankbar.

Während dieses Jahrs wurde ich auch ordiniert zur Pfarrerin auf Lebenszeit und ich wollte genau das auch sein.

Mein Mentor gab mir folgenden Ordinationsspruch mit auf den Weg. Er traf mich genauso, wie damals der Taufspruch.

Mein Ordinationsspruch lautet:“Sei getrost und unverzagt und richte es aus. Fürchte dich nicht und lass dich nicht erschrecken. Denn Gott der HERR wird mit dir sein und wird die Hand nicht abziehen und dich nicht verlassen, bis du jedes Werk für den Dienst im Hause des Herrn vollendet hast.“ (1. Chronik 28,20)

Ein Kommentar zu „Spezialvikariat Spiritualität

  1. Hier in der Nähe, auf dem Petersberg, sind es die Brüder der Christusbruderschaft in Selbitz, die monastisch leben. Ich bin immer wieder überwältigt von ihrer Gemeinschaft …
    Und jetzt denke ich, daß Deine Müstick der Magick ähnelt, die ich eine zeitlang betrieb, weit vor meinem Wunsch, Mönch zu werden.

    Gefällt 1 Person

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