Nach meinem Entschluss, mich beurlauben zu lassen, ging es mir seelisch erst mal besser. Auch wenn ich den Tag herbeisehnte, endlich den Pfarrdienst (zumindest vorerst) hinter mir zu lassen und „was Eigenes“ anzufangen (Beratungspraxis, vielleicht Kurse geben, Schreiben…) blieb ein seltsam schaler Beigeschmack. Manche beglückwünschten mich zu meinem Schritt in die Unabhängigkeit. Es wirkte wohl nach außen hin stark und unabhängig. In mir drin sah es anders aus. Es war eine seltsame Gemengelage bestehend aus Müdigkeit, Trauer, Hoffnung, dass sich jetzt wirklich etwas ändern würde und latenten Schuldgefühlen. Jetzt im Nachhinein glaube ich, dass es genau diese Schuldgefühle waren, die die dunkle Wolke zwischen Gott und mir ausgemacht haben. Ich spürte tief im Inneren, dass es nicht richtig ist und mir nicht gut tut, den Weg, den ich seit meiner Ordination eingeschlagen hatte, zu verlassen. Während andere mich zu meiner Entscheidung beglückwünschten, nagte in mir der Zweifel.
Ich beschwichtigte mich selbst. Es ist ja nur eine Beurlaubung. Du probierst das jetzt mal aus, das Leben abseits des Pfarrdienstes, und wenn du willst kannst du ja jederzeit zurück. Was du ja nicht willst. Auf gar keinen Fall. Oder doch? Oder nicht?
Ich schob diese Gedanken beiseite. Noch war ich ja immerhin für ein paar Monate Pfarrerin für St. Lukas, wenn auch stark angeschlagen. Jetzt schon darüber nachzudenken, was nach diesem mühsam errungenen Beschluss mich beurlauben zu lassen sein würde, dazu war es ja eigentlich noch zu früh.
Eines Sonntags hielt ich wieder mal Gottesdienst in dem mir lieb gewordenen nüchternen Kirchenraum von St. Lukas. Ich war in meinem Element. Ich verabschiedete nach dem Gottesdienst meine Gemeinde und wollte dann hinterm Altar vorbei zum Ausgang gehen. Irgendetwas bewog mich, am Altar stehen zu bleiben.
Und ER meldete sich, nach vielen Monaten, mal wieder mit einem deutlichen, klaren Satz in mir zu Wort: „Dein Platz ist hier!“
Und da stand ich wie vom Donner gerührt. Was um Himmels willen sollte ich denn jetzt machen? Ich hatte doch schon alles in die Wege geleitet. Der Termin für meinen Abschiedsgottesdienst stand schon fest. Die Regionalbischöfin war auch schon da gewesen, um mit dem Kirchenvorstand über die Neuausschreibung der Pfarrstelle zu reden. Ich konnte jetzt keinen Rückzieher mehr machen und ich wollte auch gar nicht! Ich wollte meine Ruhe, meine Unabhängigkeit, ein Leben, bei dem ich mich nicht für jeden Schritt und Tritt vor eine Öffentlichkeit verantworten muss, die Möglichkeit, zu trauern, wenn mir danach ist, ohne dass mir schon wieder zig Aufgaben und Termine im Nacken sitzen, raus aus dieser Tretmühle! Ich wollte meinen Weg gehen.
In diesem Moment wurde mir klar, dass ich die ganze Zeit kein einziges Mal daran gedacht hatte, Gott zu fragen, was er denn eigentlich von diesem Ansinnen hält.
Ich hatte mich in meiner seelischen Not eingekapselt. Der berühmte homo incurvatus in seipsum, der in sich selbst verkrümmte Mensch, wie Luther es nennt.
Und auch jetzt konnte ich nicht anders. Obwohl ich IHN gehört hatte, klar und eindeutig.
Ich drehte mich weg, verließ die Kirche und zog meinen Talar aus. Noch drei oder vier Monate, und ich würde ihn nie mehr anziehen.