Die Nacht der Seele

Spätestens mit dem Tod meiner Eltern, aber eigentlich schon in Schweinfurt, begann bei mir das, was der spanische Mystiker Johannes vom Kreuz die Nacht der Seele nennt. Einen Phase gefühlter Gottesferne trotz des Wissens, das Gott existiert. Kein intellektueller Zweifel. Sondern eine Art Gottesfinsternis.

Wie eine Sonnenfinsternis trat diese bei mir nicht mit einem Schlag ein. Es war, als ob sich etwas allmählich vor das göttliche Licht schiebt. Alles um mich herum wurde langsam fad und fahl und zäh. Ich stellte mir immer öfter die Frage, ob das was ich da tue eigentlich Sinn macht. Zuerst war das nur ein inneres Ringen, aber dann begannen auch Gemeindeglieder sich zu beschweren.

Mit dem Tod meiner Eltern wurde es richtig dunkel. Ich erlebte etwas nie Gekanntes, nämlich ein Beten ohne spürbare Resonanz. Es fühlte sich an, als ob ich meine Gebete in einen Eimer spreche. Ich hörte nur noch mich selbst. Eine Erfahrung von Dumpfheit.

Mein Körper hatte seine eigene Art mir rückzumelden, dass etwas nicht stimmt. Ich bekam eine Gesichtslähmung. Die rechte Hälfte meines Gesichtes gehorchte mir nur noch eingeschränkt. Der Mundwinkel hing, die Zunge war taub, das rechte Auge tränte. Zum Glück war es kein Schlaganfall, sondern „nur“ eine Lähmung verursacht durch einen Gesichtsnerv. Ursache unbekannt. Der Mediziner nennt das idiopathisch. Das heißt: Es kommt weiß Gott woher und geht irgendwann hoffentlich wieder weiß Gott wohin. Ich war krankgeschrieben. Und jetzt tat ich, was ich wohl nicht hätte tun sollen: Ich schrieb auf dem Dienstweg meine Kündigung. Ich wollte nicht mehr Pfarrerin sein.

„Das war sicher befreiend“, vermuteten manche und ich stimmte ihnen zu, weil ich es selber gern geglaubt hätte. Mein Körper wusste, dass das eine Lüge ist und reagierte prompt. Ich bekam über fast vier Tage hin zur Gesichtslähmung dazu den Migräneanfall meines Lebens. Ich hatte solche Kopfschmerzen, dass ich an einem Tag eine halbe Packung Ibuprofen 400 aufbrauchte, als wären es Smarties. Ich habe mir buchstäblich die Seele aus dem Leib gekotzt. Ich konnte nur noch liegen. Aufgestanden bin ich nur, um aufs Klo zu gehen. Nichts half. Am vierten Tag brachte eine Mitsängerin aus dem Chor, die Heilpraktikerin ist, ein homöopathisches Mittel vorbei, von dem ich alle halbe Stunde etwas nehmen sollte. Innerhalb von zwei Stunden wurde es zum Glück besser.

Am selben Tag rief mich der Dekan an. Was ich denn da für Sachen mache. Ob ich Urlaub brauche. Was er für mich tun kann. Er werde diese Kündigung auf keinen Fall einfach so hinnehmen und weiterleiten. Wenn es unbedingt sein müsse, würde er sich dafür einsetzen, dass ich ein Jahr lang beurlaubt werde.

Nach etwas Hin und Her stimmte ich dem zu. Bat aber darum, trotzdem noch ein paar Dinge abschließen zu können und zum Jahresbeginn 2015 den Urlaub antreten zu dürfen. Das war im Sommer 2014.

Diese Aussicht war dann wirklich befreiend. Ich hatte von meiner Mutter etwas Geld geerbt. Ich beschloss, mit meinen Urlaubstagen auf eigene Rechnung eine Fortbildung zur Heilpraktikerin für Psychotherapie anzufangen, damit ich während der Beurlaubung freiberuflich irgendetwas Sinnvolles tun kann.

Diese Ausbildung und das Lernen auf die Prüfung beim Gesundheitsamt tat mir sehr gut, half mir den Kopf frei zu bekommen und noch ein halbes Jahr halbwegs vernünftig im Pfarramt zu arbeiten.

Die Seelennacht allerdings verzog sich nur sehr langsam. Noch lange Zeit begleitete mich die (gefühlte) Gottesferne wie eine dunkle Wolke. Auch wenn ich versucht habe, optimistisch in die Zukunft zu schauen wusste ich im Grunde, dass ich mich verhielt wie Jona auf der Flucht vor seinem Auftrag. Aber, dachte ich, es ist ja jetzt nur eine Beurlaubung und keine Kündigung. Ich komme ja wieder.

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