Irgendwann im späten Frühjahr 2015, nachdem ich einige Monate lang sinnlos vor mich hin gedümpelt war, zog ich Bilanz meiner bisherigen „Freiheit“.
Meine „Praxis“ lief überhaupt nicht. Nicht ein einziger Klient hatte sich bisher zu mir verirrt. Und das, obwohl Spiritualität eigentlich ein tolles Thema ist und ich Beratung und Begleitung spirituell Suchender sicher gut gemacht hätte. So allmählich lichteten sich meine finanziellen Ressourcen, etwas üppigere Einnahmen wären gut.
Ich versuchte es mit Schreiben, verfasste ein launiges Büchlein über die heiteren Seiten des Pfarrberufes. Das machte Spaß und war ganz nett und den Lesern gefiel es auch gut. Ich schrieb die Texte für die Website es befreundeten Heilpraktikers und beriet einen Musiker bei der Erstellung seiner Homepage. Das brachte ein bisschen was, aber nicht viel. Das gleiche gilt für einige Bibelandachten, die ich für das Rothenburger Sonntagsblatt verfasst habe. Kurz, es waren alles schöne Möglichkeiten, aber für Miete oder Essen reichte es hinten und vorne nicht, dafür musste ich jeden Monat das Bankkonto schröpfen, und das Erbe meiner Mutter schmolz dahin.
Wie wäre es denn, wenn ich freiberuflich das tue, was ich wirklich kann? Beerdigungen, freie Trauungen, „Taufen“, bzw. Willkommensfeiern für Familien und ihren Nachwuchs?
Von Anfang an war mir klar, dass ich mich damit in Konflikt mit meiner Kirche begebe, denn damit trete ich in Konkurrenz zu den offiziellen Amtshandlungen evangelischer Pfarrerinnen und Pfarrer, und da ich ja nur beurlaubt war und nicht gekündigt hatte, hätte ich das nicht tun dürfen. Auch nicht bei Leuten, die garkeine Kirchenmitglieder sind, die aber wohl meine Hauptklientel wären.
Ich überlegte, was wohl schlimmstenfalls passieren könnte. Vermutlich würde mich, wenn es herauskäme, der Dekan, den ich ja ganz gut kenne und mit dem ich quasi befreundet war, zu einem Gespräch bitten. Er würde mir ernstlich ins Gewissen reden und dann könnte ich es ja immer noch sein lassen. Vielleicht wollte ich es, unbewusst, auch darauf ankommen lassen.
Ich begann also mit freien Beerdigungen, aber auch das war eine sehr schleppende Angelegenheit. Ich hatte gerade mal zwei Beerdigungen innerhalb von drei Monaten, die ich guten Gewissens annehmen konnte, denn bei Verstorbenen waren aus der Kirche ausgetreten. Ich dachte, dass ich mich damit wohl noch im kirchenrechtlichen Graubereich bewege. Ich müsste ja nicht ehemaligen Kollegen die Gemeindeglieder vor der Nase wegschnappen.
Einige Monate lang passierte gar nichts und ich war schon ganz guter Dinge.
Dann erhielt ich einen Anruf von der Sekretärin des Dekans. Dieser wolle dringend mit mir reden.
Aha, dachte ich, jetzt kommt er, der Schuss vor den Bug. Ich bin ja schon brav und würde sofort Besserung in Form von Unterlassung meiner Tätigkeit geloben. Etwas mulmig war mir natürlich trotzdem.
Im Dekanat fand ich mich dann nicht mit einem, sondern mit zwei Dekanen konfrontiert. „Mein“ Dekan, also der, den ich gut kenne und der immer für mich zuständig war, guckte nur total bedröppelt und sagte nichts.
Der andere, mir weniger bekannte, eröffnete mir, der Landeskirchenrat habe ein Disziplinarverfahren gegen mich eröffnet und ich solle mich nun entscheiden, ob ich mich dem stelle, oder ob ich kündige.
Ich war total fassungslos. Ja, ich hatte wohl bewusst oder halb bewusst genau das provoziert. Aber dass, nach gerade mal zwei Beerdigungen, noch dazu von nicht-Kirchenmitgliedern, gleich dieses Geschütz kommen würde, das verschlug mir wirklich die Sprache.
Ich sagte, wenn es denn so wäre, dann würde ich heute noch kündigen. Aufgewühlt verließ ich das Dekanat.
Sehr viel später habe ich erfahren, dass der für mich zuständige Dekan damals wohl selber eine Art Seelenfinsternis durchlebt hatte. Dass man ihm gesagt hatte, er solle mich kontaktieren und verwarnen, weil sonst vermutlich ein Disziplinarverfahren eröffnet wird. Zu dieser Vorstufe der Eskalation kam es leider nicht und ich war, nachdem meine Kündigung die üblichen bürokratischen Wege gegangen war, ab Ende 2015 nicht mehr eine beurlaubte Pfarrerin, sondern gar keine Pfarrerin mehr.
Ich finde deine Erfahrung erschütternd. Wie immer Kirchenleitung meint, ein Diszi eröffnen zu müssen, so geht es bestimmt nicht. Wenn die „Gemeinschaft der Ordinierten“ nicht wirklich bloß ein Gerede ist (ich fand es meist so), dann muss man auch m Konfliktfall miteinander anders umgehen.
LikeLike
Danke. Es tut gut, das von einem Dekan zu lesen.
LikeLike