Nutzlose Freiheit

Am ersten Advent 2014 war mein Abschiedsgottesdienst in St. Lukas in Coburg. Mir graute vor diesem Termin. Die Gemeinde wusste zwar schon lange, dass ich gehen würde. Aber mich vor sie hinzustellen und ihr ein letztes Mal in die Augen zu schauen, erfüllte mich mit Schmerz und Panik, und da kam wohl auch alles hoch, was ich seit Beginn meines Vikariats im Pfarrberuf erlebt hatte. Und wie es bei Seelenfinsternissen so ist, erinnerte ich in diesen Wochen nicht die schönen, gelungenen, starken Momente, sondern alle anderen.

Die Tageslosung war aussgerechnet Jesaja 35,1: Die Wüste und die Einöde wird frohlocken, und die Steppe wird jubeln und blühen wie die Lilien.

Ich versuchte in meiner Predigt den Vers als eine Art persönliche Hoffnungsvision auszulegen, und zum ersten Mal in meiner Laufbahn als Predigerin hatte ich meine Stimme überhaupt nicht unter Kontrolle und musste während der ganzen Predigt gegen ein Schluchzen ankämpfen. Ich war so froh, als es endlich vorbei war und noch froher, dass mein alter Freund und Seelenbruder Tilmann Haberer extra aus München angereist war, um mir beizustehen.

Meine definitiv allerletzte Amtshandlung als Pfarrerin war dann eine Trauung Ende Dezember in der Heiligkreuzkirche in Coburg, und danach packte ich meinen Talar in eine schwarze Reisetasche und da drin liegt er heute noch.

Ich zog um, aus meinem Pfarrhaus in eine Zweizimmerwohnung. Dass ich in Coburg blieb, hatte vor allem den Grund, dass ich die Energie für noch einen Neuanfang nicht mehr aufgebracht hätte. Hier war mir wenigstens die Stadt vertraut, und mein Chor und mein Laienorchester und mein Geigenlehrer und noch ein paar andere liebgewordene Menschen.

Die ersten Wochen in Freiheit tat ich gar nichts, außer schlafen. Dann machte ich mich auf die Suche nach einem Praxisraum, wo ich Beratungen anbieten konnte und wurde fündig in einer alternativen Praxisgemeinschaft in der Mohrenstraße.

Ich versuchte mich zu motivieren, mein „Geschäft“ etwas anzuleiern und ließ Visitenkarten, Prospekte und allen möglichen anderen Kram drucken. Aber im Grunde ging meine Motivation gegen null.

In die Kirche ging ich gar nicht mehr. Was sollte ich denn dort? Sobald ich ein evangelisches Gotteshaus betrete, kommt mir alles hoch, die katholische Gemeinde St. Augustin war anfangs auch keine Option. Später bekam ich einen ganz guten Draht zu dem katholischen Kollegen dort und besuchte dann, etwa nach sechs Monaten Gottesdienstabstinenz, relativ regelmäßig die Messe.

Im Grunde hing ich durch. Und ich begann zu ahnen warum: Weil man zwar aus dem Pfarrberuf aussteigen kann, der Pfarrberuf aber ist entsetzlich anhänglich. Auch wenn vieles für mich sehr schwer war – immerhin hatte mein Leben so etwas wie einen Sinn! Ich war eingebettet in ein größeres Ganzes!

Ich war, wegen meiner Frustration und in einer Krise, vor ihm geflüchtet, wie Jona. Hatte irgendein Schiff bestiegen, wo ich mich sicher wähnte vor Gott und seiner Gemeinde. Nun schlingerte das Schiff auf dem Ozean der Sinnlosigkeit vor sich hin, ich hatte kein Ziel, und die Tage waren unglaublich öde.

Aber noch wollte ich nicht „zurück“.

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