„Freie Theologin“ – was ich getan habe und wem ich begegnet bin

Insgesamt habe ich eigentlich gar nicht allzu lange als „freie Theologin“ gearbeitet, aber die Erfahrungen, die ich hier gesammelt habe, möchte ich hier teilen.

Zunächst einmal: Ich finde es schade, dass „Kirche“, bzw. Pfarrerinnen und Pfarrer der Kirche, freie Theologen als derart rotes Tuch empfinden. In meiner Zeit als Pfarrerin habe ich nicht erlebt, dass es hier je zu einem echten Dialog gekommen wäre. Jemand, der freiberuflich das tut, was Pfarrer und Pfarrerinnen für die Kirche tun, ist suspekt. Der wildert in unserem Revier. Der befeuert bei den Leuten absurde Erwartungen. Der sorgt dafür, dass wir uns auf einmal bei Trauungen mit den absurdesten Wünschen konfrontiert sehen, weil das Brautpaar das bei irgendwelchen Freunden bei einer freien Trauung so gesehen hat. Und, ganz schrecklich, die machen womöglich Beerdigungen, bei denen keiner von uns konnte. Wir fühlen uns blamiert. Und fachlich haben die auch wenig drauf.

Aber auch: Wenn WIR solche Lebensübergänge nicht mehr gestalten, dann verlieren wir das letzte bisschen Relevanz, das wir bei vielen Kirchenmitgliedern noch haben. Wenn jetzt auch noch Taufen, Trauungen und Bestattungen von „freien Rednern“ übernommen werden – dann werden womöglich viele merken, dass es sich wegen dieser wenigen „Events“ im Leben einfach nicht mehr lohnt, überhaupt in der Kirche zu sein. Denn wenn die einzigen Begegnungen mit Kirche Taufen, Trauungen und Bestattungen sind, warum sollte dann jemand lebenslang Kirchensteuern zahlen?

Für mich sind die Bedenken kirchlicher AmtsträgerInnen gegenüber freien Theologen wirklich in erster Linie ein Symptom für die Angst vor einem allgemeinen Relevanzverlust.

Ich kenne dank meiner „krummen Wege“ inzwischen auch die andere Seite. Die Seite der freien Theologin.

Wer hat meine Dienste in Anspruch genommen? Liebe ehemalige Amtsbrüder und -schwestern, seien Sie unbesorgt. In den allermeisten Fällen, die mir begegnet sind, hätten SIE die Kasualie sowieso nicht gemacht! Ja, es gab auch zwei oder drei evangelische Christen, die ich in diesen zwei Jahren beerdigt habe. Das waren Fälle, in denen wirklich NIEMAND in der Lage war, die Beerdigung zu übernehmen, und wo der Bestatter dann als allerletzte Option bei mir angerufen hat, weil er mich aus meiner Pfarrerinnenzeit kannte und wusste, dass ich „evangelisch“ „kann“. (Und nein, ich habe mich da NICHT im Talar hingestellt und die Leute wussten, wer ich bin, damit war es auch keine Amtsanmaßung.) Ansonsten waren wirklich die aller-, allermeisten Verstorbenen entweder aus der Kirche ausgetreten oder nie drin gewesen (ich bin viel nach Thüringen gependelt, da ist die freie Bestattung Regel und nicht Ausnahme).

Bei Trauungen sah es ähnlich aus. Sehr häufig hatte ich Paare der Kombination muslimisch-ausgetreten (ehemals evangelisch), beide ausgetreten, beide nie in der Kirche gewesen. Wenn mal ein kirchlich gebundenes Paar dabei war, dann wollten die dezidiert etwas, was zumindest in diesen Jahren noch nicht ging: Die ganz besondere Location, das ganz besondere Ritual, oder was auch immer. Und, bei aller Liebe: Bei solchen Paaren habe ich schon als amtierende Pfarrerin gesagt: Wenn die DAS wollen, dann bin ich die falsche Person, dann sollen sie halt eine „Freie“ buchen und dafür ordentlich blechen. Außerdem öffnet sich Kirche sowieso nur sehr zögerlich für nicht-kirchliche Gottesdienstorte.

Bleiben noch „Taufen“, bzw. Namensfeiern. Viele hatte ich sowieso nicht. Die wenigen, die ich hatte, waren überwiegend keine Taufen, sondern Namens- oder Segnungsfeiern. Bei einer davon wollte die Familie sogar eine kirchliche Feier. Sie wollten ihr Kind segnen lassen, aber nicht taufen, weil ihr Sohn das eines Tages selbst entscheiden soll. Als noch amtierende Pfarrerin hätte ich das früher liebend gern gemacht. Der zuständige Kollege weigerte sich aber, entweder Taufe oder garnichts. Entschuldigung, ich kann nichts dafür, wenn jemand so tickt – mir als damals aktiver freier Theologin kann man es, mit Verlaub, nicht anlasten, wenn die Leute dann auf mich zukommen.

Was ich beinahe lustig fand: Kaum hatte ich mit freien Trauungen und Lebensfeiern im Raum Coburg begonnen, schon erschien in der örtlichen Zeitung ein Artikel, dass ein Kollege unseres Dekanats natürlich liebend gerne eine Taufe im Wald und in Gottes freier Natur vornimmt, mit bunten Luftballons, offen, einladend und familienfreudlich, man solle sich doch vertrauensvoll ans Pfarramt wenden, wenn man so eine besondere Feier will. Ich lachte kurz auf. Kurze Zeit vorher waren Taufen unter freiem Himmel angeblich noch theologisch völlig indiskutabel. Kaum mache ich es, schon machen es andere in derselben Region auch. Zufall? Natürlich, was sonst.

Was ich traurig fand: Beerdigungen bei Menschen ohne jeglichen Glauben. Wo nicht mal ein Vaterunser möglich war. Die Leute taten mir wahnsinnig leid. Ich hätte ihnen so gerne von Gott erzählt. Was aber nicht gewünscht war. Also habe ich immer nach meiner Ansprache eine Schweigeminute angesagt und in dieser Zeit in aller Stille das Vaterunser für den Verstorbenen und seine Angehörigen gebetet.

Was waren es für Menschen, die mir begegnet sind? Viele Fragende, Suchende. Aber auch solche, die mit Gott schon lange abgeschlossen hatten. Viel Orientierungslosigkeit. Viel ungetröstete Trauer.

Aber auch viel Leben, Lebendigkeit. Eigentlich war es gar nicht so anders, wie bei den Kasualien im kirchlichen Dienst.

Was ich oft vermisst habe: Meinen Talar. Und den Schutz, den er mir einst bot.

Ein Kommentar zu „„Freie Theologin“ – was ich getan habe und wem ich begegnet bin

  1. Ich bitte vorab um Verzeihung, wenn ich vielleicht am Thema vorbeikommentiere:

    Auf Mittelaltermärkten stelle ich in einem Verein einen Mönch dar, der sein Scriptorium zeigt (alte Handschrift, Abschriften, Transkrition) und trage ein Kostüm, die Nachbildung einer Mönchskutte mit Cingulum. Seit meinem ersten derartigen Auftritt finden sich immer wieder Menschen bei mir ein, die – obwohl ich deutlich erkläre, daß ich die Mönchsfigur, den Klosterbruder nur darstelle und keinerlei Weihe erhielt – mir ihr Herz ausschütten, bei mir „beichten“ und um Verstehen (um nicht Absolution zu sagen) nachsuchen. Ich bemerke also eine Sehnsucht nach Gottesnähe OHNE institutionelle Kirche. Und weiß nicht, wie ich damit richtig umgehen könnte …

    Ist es verwerflich, den Menschen trotzdem (als getaufter ev.-luth. Christ) Gottes Gegenwart näherzubringen, ohne Ordination, ohne Auftrag — und ohne Willen zur Mission?

    Gefällt 1 Person

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