Heilige Gianna, bitte für uns

Ich lebte gerade mal ein halbes Jahr, seit ich mit Christoph zusammengekommen war, fröhlich und entspannt vor mich hin, da kündigte sich etwas an, was noch einmal alles in Frage stellen, alle Karten neu mischen und alles zurück auf Null drehen sollte. Kompletter Systemneustart. Doch der Reihe nach.

Das Jahr 2016 neigte sich seinem Ende entgegen. Ich feierte mit Christoph Silvester, wobei wir stundenlang Scrabble spielten und um Mitternacht als Zwei-Mann/Frau-Polonaise ausgelassen durch meine Zweizimmerwohnung tanzten.

An Neujahr tat ich, was ich schon die Jahre vorher getan hatte: Ich googelte „Jahresheiligen Ziehen“ und zog aus einem virtuellen „Korb“ meine(n) Jahresheilige(n) für 2017. Eine Person, mit deren Leben ich mich beschäftige, der oder die mich im kommenden Jahr inspirieren soll, und, so katholisch bin ich schon, von dem/der ich glaube, dass er/sie mir im Glauben vorangegangen und inzwischen bei Gott ist, wo er/sie auch für mich betet, wenn ich ihn/sie darum bitte. Es ist so eine Art Ergänzung zur biblischen Jahreslosung.

Ich zog und las, erstmals in meinem Leben, den Namen Gianna Beretta Molla. Ich hatte keine Ahnung wer das ist und googelte erst mal. Die Heilige Gianna ist eine Heilige des 20. Jahrhunderts, die letzte von Johannes Paul II. kanonisierte Heilige. Sie war von Beruf Kinderärztin mit einer ausgeprägten Liebe zu Gott und den Menschen. Wer es sich nicht leisten konnte, den behandelte sie umsonst. Sie war verheiratet und dreifache Mutter. Als sie im fortgerückten Alter von 39 Jahren (damals alt) zum vierten Mal schwanger wurde, stellten Ärzte einen Tumor an ihrer Gebärmutter fest. Man riet ihr, die Schwangerschaft abzubrechen, denn der Tumor war zwar nicht bösartig, würde aber im Zuge der Schwangerschaft und Geburt zu erheblichen Problemen führen, wodurch sowohl ihr als auch das Leben ihres ungeborenen Kindes in Gefahr geriete.

Gianna konnte eine Abtreibung nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren und legte ihr Leben und das ihres Kindes in Gottes Hand. Das Kind wurde nach einer schwierigen Schwangerschaft per Kaiserschnitt entbunden und war gesund, Gianna Molla starb an den Folgen der Operation. Sie gilt als Patronin der Schwangeren, der Ärzte und der ungeborenen Kinder und wird vor allem als Fürsprecherin in ausweglos erscheinenden Schwierigkeiten während der Schwangerschaft angerufen.

„Und was soll ich damit?“, dachte ich. Das passt ja überhaupt nicht. Trotzdem hatte ich augenblicklich haargenau das Gefühl, das ich damals bei Jesaja 45 gehabt hatte. Dass da irgendetwas passieren wird. Ich wischte den Gedanken weg. Ich würde sicher nicht schwanger werden. Erstens war ich ja schon 44, zweitens hatte ich den Bauch voller Myome, drittens verhütete ich. Zwar nicht per Pille, aber auf „natürlichem“ Weg, also durch genaue Körperbeobachtung und Abstinenz. Ich kenne meinen Körper. Dachte ich.

Im März 2017 begann ich halbtags im Altenheim zu arbeiten, in meinem neuen Job als Demenzbetreuerin. Es war zwar nicht gerade erfüllend (vor allem der Mangel an Pflegekräften lastete schwer auf dem betrieblichen Miteinander), aber es brachte regelmäßig etwas auf dem Konto. Ich war weiterhin zufrieden, die Hl. Gianna hatte ich längst vergessen.

Im Juni 2017 blieb auf einmal meine Periode aus. Dazu kamen seltsame, bisher nicht gekannte ziehende Schmerzen im Unterleib, aber keine Periodenschmerzen. Ich hielt es erst mal für eine Entzündung oder so etwas.

Dann machte ich einen Schwangerschaftstest.

Wie erstarrt und völlig fassungslos hockte ich auf dem Klo und beobachtete, wie sich der zweite Streifen blau färbte.

Das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein. Ich begann zu weinen und rannte zu meinem Freund.

Der wurde blass und nahm mich in den Arm.

„Der Test ist positiv. Ich bin wahrscheinlich schwanger.“ – „Was heißt wahrscheinlich?“ – „Ich muss zur Frauenärztin. Wenn die es bestätigt, ist es so.“

Christoph schluckte.

Dann umarmte er mich noch fester, rang um Fassung und sagte mit zitternder Stimme, aber entschlossen: „Wenn es so ist, hoffe ich, dass ich dir ein guter Mann sein kann.“

Kein Vorwurf. Kein Fluchtversuch. Er übernahm sofort Verantwortung. Und dafür liebe ich ihn.

Am Tag darauf saßen wir beide im Wartezimmer meiner Frauenärztin Fr. Dr. Iwan. Ich zitterte.

Sie untersuchte mich und meinte: „Nun, so richtig kann ich da nichts erkennen….zumindest keine Schwangerschaft. Aber da ist etwas. Sie haben da einen ziemliche großen Tumor oder eine Zyste am Eierstock. Und das macht mir Sorgen.“

„Was?!“

„Ich kann Ihnen nicht genau sagen, was das ist. Aber es muss auf jeden Fall raus. Ob Sie zusätzlich schwanger sind, weiß ich nicht, ich sehe hier erstmal nichts, auch ein Tumor kann in manchen Fällen das Hormon produzieren, das während der Schwangerschaft aufgeschüttet wird. Ich müsste da noch mal Blut nehmen. Kommen Sie morgen wieder.“

Mit diesem niederschmetternden Ergebnis gingen wir nachhause.

Am nächsten Tag war es klar.

Ich bin schwanger und ich habe einen Tumor, der sehr groß und eventuell bösartig ist.

„Was machen wir?“, fragte die Ärztin. „Ich denke, das wäre ein medizinischer Grund für einen Abbruch, aber entscheidne müssen Sie!“

Und ohne den geringsten Zweifel sagte ich: „Nein, wir brechen nicht ab.“

Frau Iwan meinte, so hätte sie mich auch eingeschätzt. Sie könne beide Entscheidungen mittragen. Sie überwies mich an den Chefarzt der Frauenklinik in Coburg, Dr. Hermann Zoche und meinte: „Da sind Sie in besten Händen.“

An dem Tag betete ich zum ersten Mal: „Heilige Gianna, bitte für uns!“ Es sollte nicht das letzte Mal sein.

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