Wenige Tage später hatten wir einen Termin bei Dr. Zoche im Klinikum Coburg. Diesen Mann als behandelnder Arzt für die nächsten zwei Jahre zu haben war ein Glücksfall oder göttliche Fügung.
Er untersuchte mich und zeigte mir währenddessen schon die Ultraschallbilder.
„Sehen Sie das da? Ich kriege es gar nicht ganz drauf, dieses riesige grauschwarze Objekt ist der Tumor. Der ist mindestens 10 cm lang und 7 cm breit. Und hier….(er rutscht mit dem Schallkopf weiter nach links)….ist die Gebärmutter. Die ist wegen des Tumors schon seitlich verschoben. Wollen Sie Ihr Kind sehen?“
Ich nickte.
„Hier ist Ihr Kind, der Embryo ist ungefähr 5 Wochen alt und was da so zuckt, ist der Herzschlag.“
Mir kamen die Tränen.
„Frau Müller, ich bin jetzt mal ganz gemein und brutal. Ich mache diesen Job jetzt 30 Jahre und dass eine Schwangerschaft das übersteht, habe ich nur ganz selten erlebt. Da sprechen wir jetzt gar nicht von dem Tumor, der ist für Ihr Kind erstmal egal. Aber haben Sie die Myome gesehen? Die wachsen in der Schwangerschaft oft mit. Die Chancen, dass Ihr Kind bis zum neunten Monat in Ihrem Bauch bleibt, sind schlecht. Aber man weiß ja nie. Manche Kinder sind zäh, die klammern sich ans Leben. Und irgendwie wäre es ja schon schön, oder?“
Ich nickte.
„Also, ich rate Ihnen: Wenn Sie Ihr Kind wollen, probieren wir es, und wenn es nicht klappt, dann müssen Sie eben Trauerarbeit leisten. Aber der Tumor kann nicht drin bleiben, der muss raus, das ist zu gefährlich. Wenn wir das sofort machen, wäre das das Ende der Schwangerschaft. Aber wenn wir bis zur 16. Woche warten, haben wir gute Chancen, das Leben Ihres Kindes zu erhalten. Sollte er gutartig sein, dann haben Sie beide gute Karten, falls das Kind solange durchhält. Wenn nicht, müssen wir neu überlegen. Sind Sie einverstanden?“
Ich war einverstanden und in mir war trotz allem plötzlich Friede. Wir konnten jetzt ja sowieso nur abwarten und alles in Gottes Hand legen.
Gleich nach dem Termin fuhren wir in Urlaub ins Lechtal. Mit Zwischenstopp in München, wo Andreas Ebert seine Verabschiedung in den Ruhestand feierte. Ich freute mich, Christoph mein altes Umfeld zeigen zu können und genoss die Feier sehr, wenn auch alkoholfrei.
In der herrlichen Natur des Lechtals kam ich dann innerlich völlig zur Ruhe. Vor allem konnten wir als Paar uns in die Situation einfinden.
Ich beschloss, dass mein Kind es in meinem Bauch gut haben sollte, gerade wenn es früh sterben sollte. Ich redete mit ihm. Ich erzählte ihm, was ich gerade sehe. Es fühlte sich an, als ob die wunderschönen Natureindrücke direkt durch meine Augen und mein Herz zu meinem winzigen Würmchen von Kind einfließen, direkt in sein kleines pochendes Herzchen. Und ich bat ihn: Bleib bei uns! Halte durch! Schau, da ist der schöne blaue Himmel. Da ist ein Berg, da oben liegt noch Schnee. Schau, Bäume! Und so eine schöne Blume!
Ich zeigte ihm Die Welt durch meine Augen.
Auf der Heimfahrt sagte ich: „Wie wollen wir ihn denn nennen. Oder sie. Obwohl ich irgendwie glaube, es wird ein Junge.“
Christoph überlegte.
„Irgendwas Bodenständiges. Konrad vielleicht. Oder …. Korbinian.“
„Korbinian….“
Ich lauschte innerlich dem Klang dieses Namens. Es fühlte sich gut an.
„Und wenn es ein Mädchen ist?“
Wir überlegten diverse Mädchennamen. Elisabeth oder Katharina oder Klara hätte mir gefallen, aber irgendwie musste ich immer denken: Korbinian.
Ich war erst in der 6. Schwangerschaftswoche. Viel zu früh für einen Namen.
Aber irgendwie wusste ich, noch vor Christoph: Es wird ein Korbinian.
Später googelte ich die Namensbedeutungen und die Heiligenlegende.
Korbinian von Corvus, Rabe. Der Rabenähnliche, der kleine Rabe. Aber auch eine Ableitung aus dem Keltischen wäre möglich. Dann hieße es der Sorgenfreie oder der Befreier von Sorgen. Oder von Hebräisch Korben Jah, der Jahwe Geweihte.
Ich hoffte und betete, dass mein Kind wirklich das Licht der Welt erblicken würde.
Und eines Abends wieder ER: „Die Macht des Höchsten wird dich überschatten.“