Am 1. März 2018 kam unser Sohn Korbinian Johannes zur Welt.
Drei Wochen vorher wurde die Chemotherapie ausgesetzt, damit das, was die Plazenta nicht zurückhalten konnte, aus seinem Körper heraus ist vor der Geburt. Es war die 37. Woche. Er war voll entwickelt, eher etwas größer als andere Kinder in dieser Woche, sozusagen seiner Zeit drei Wochen voraus. (Danke, Gott.)
Durch den Kaiserschnitt kam ich um die Wehen und die Geburtsschmerzen herum. Als kleinen Ausgleich gab es für mich ein endloses Gestochere zwischen zwei Rückenwirbeln beim Legen der Spinalanästhesie. (Zitat Anästhesist: „Nun halten Sie endlich still, verdammt! Sie dürfen nach vorne beißen, kratzen, spucken, schlagen und fluchen, aber halten Sie den Rücken still!“)
Die Spinalanästhesie war nötig nicht wegen des Kaiserschnitts an sich, sondern damit auch in den Tagen nach der OP ein Schmerzmittel direkt über das Rückenmark und die entsprechenden Nervenbahnen verabreicht werden konnte, denn ohne würde ich ziemliche Schmerzen haben. Die eigentliche OP, also Kaiserschnitt und anschließend die Entfernung von Gebärmutter, verbleibendem Eierstock, Bauchnetz, Lymphknoten „plus X“ erfolgte in Vollnarkose.
Ich gebe es zu, ungefähr eine Stunde bevor es losging verließ mich trotz allem der Mut. Ich hatte schlicht und einfach Angst. Um mein Leben und das meines Kindes. Das OP-Team hatte vorsorglich fünf Blutkonserven bereitgestellt, weil ich wahrscheinlich bluten würde „wie Sau“. Die Operation – Kaiserschnitt UND anschließend OP wegen Eierstockkrebs – ist auch alles andere als Routine.
Außerdem wusste noch niemand, ob und in welchem Maße eigentlich andere Organe schon mit Krebs befallen sind. Im schlimmsten Fall wäre ich ohne Milz und mit künstlichem Darmausgang aufgewacht. Als frischgebackene Mutter. Oder als Mutter eines leider verstorbenen Kindes. Kurz, ich hatte ANGST. Und ich bin dankbar, dass ich diese Angst wirklich nur etwa eine Stunde vor der OP hatte.
Christoph durfte mich nur begleiten, bis ich zur OP abgeholt wurde und er würde Korbinian in Empfang nehmen und das erste Mal sehen und füttern. Stillen würde überhaupt nicht möglich sein.
Ich war sehr dankbar, als die Narkose endlich anfing zu wirken und mich von meinen Ängsten befreite.
Wie schon nach der ersten OP erwachte ich auf der Intensivstation. Noch bevor ich ganz bei mir war, erschien Dr. Zoche um mir zu sagen, dass es meinem Kind gut geht, der Papa sich gerade kümmert und dass die OP reibungslos verlaufen ist und es keine sichtbaren Metastasen in anderen Organen gibt.
Ich raunzte den armen Mann an, er solle mich jetzt gefälligst einfach in Ruhe lassen. Wie gesagt war ich noch nicht ganz da. Wenn man aus der Narkose erwacht, zeigen sich die wahren Seelenzustände recht unverblümt und ich wollte in dem Moment einfach nur meine Ruhe.
Als ich etwa eine halbe Stunde später richtig wach war, spürte ich vor allem eins: Erleichterung. Und Müdigkeit. Schmerzen hatte ich gar keine, dem Tropf in meinem Wirbelkanal sei Dank.
Nach etwa zwei Stunden kam Christoph mit Korbinian vorbei. Korbinian schlief tief und fest, eingepackt in eine weiße Decke. Nur das Gesichtchen schaute heraus. Ganz friedlich wirkte er. Als hätte ihm das alles nichts ausgemacht.
Leider durfte ich erst am zweiten Tag mit ihm auf die Wöchnerinnenstation. Aber zum Glück war es möglich, dass Christoph dort die ganze Zeit mit übernachten durfte. Rooming in. Eine Erleichterung für das Personal, weil ich die ersten fünf Tage das Bett gar nicht verlassen konnte und Christoph sich rührend um Korbi kümmerte. Und Glück für uns, so konnten wir in einem geschützten Raum als Familie zusammenfinden.
Korbinian hatte von Anfang an etwas, was viele berührt hat. Seine blassblauen, anfangs fast durchsichtigen Augen wirkten von Anfang an so, als ob er schon viel gesehen hat. Irgendwie ging, wenn er nicht gerade Hunger hatte, eine große Ruhe von ihm aus.
Ich musste mich natürlich, mit fast 45 Jahren, ans Muttersein erstmal gewöhnen. Aber Korbinian hat es mir sehr leicht gemacht, in dieser neuen Rolle anzukommen. Er war und ist zwar nicht „pflegeleicht“, aber irgendwie kam es mir vom ersten Tag an so vor, als ob man den Schutz und Segen Gottes spürt, der ihn umgibt.
„Manche Kinder sind zäh, die klammern sich ans Leben“, hatte Dr. Zoche gesagt. Eigentlich wirkt Korbinian gar nicht zäh, eher sensibel. Aber man spürt, wie gesegnet er ist, irgendwie intakt trotz allem, was in der Schwangerschaft war.
Ich bin extrem dankbar, dass er da ist und dass er keinen Schaden genommen hat.
Eins allerdings kann er bis heute überhaupt nicht: Alleine einschlafen. Als ob er Angst hätte, man könnte ihn alleine lassen. Vielleicht ist das die Spur der ersten Nacht seines Lebens, wo er leider wirklich alleine war auf der Säuglingsstation.