Zwei Türen – ein Himmel

Ich war wirklich hin und her gerissen. Etwa eine Woche lang, entschied ich mich fast stündlich neu. Katholisch werden! Natürlich! Folge deinem Herzen! – Evangelisch werden. Tun, was du kannst, als Pfarrerin, nicht als Laiin und Theologin zweiter Klasse! – Ja, aber die Spiritualität! Denk daran, dass du mit deiner mystischen Ader in der evangelischen Kirche nie wirklich Heimat gefunden hast. Die Mystik lebt in der katholischen Kirche! – Ja, aber…

Dann wurde mir klar: Egal, wie ich mich entscheide. Ich würde immer etwas, das mir existetiell wichtig ist, verlieren. Und dafür etwas anderes gewinnen.

Als Katholikin würde ich trauern um die verlorene Chance, je wieder Pfarrerin sein zu können und je wieder die Sakramente zu verwalten. Aber ich würde mich spirituell vermutlich heimischer fühlen und wir hätten in unserer Familie konfessionelle Einheit.

Als evangelische Christin ist es für mich umgekehrt. Mir fehlt der reiche Schatz an spiritueller Erfahrung, der mystische Zugang zu vielen Fragen des Glaubens und Lebens und dieses wirklich Weltumspannende, Zeit übergreifende Element, das im evangelischen Bewusstsein oft so wenig ausgeprägt ist.

Ich überlegte hin und her und wälzte mich nachts unruhig in meinem Bett.

Dann betete ich und fast sofort erschien in meinem Inneren ein Bild. Ich sah eine große, lange, breite Freitreppe vor mir, die nach oben führt. Ich schritt die Treppe hinauf. Oben angelangt sehe ich zwei weiße Türen. Die stehen da einfach so herum. Ohne eine Wand, ohne ein Haus. Da nichts zwischen oder neben den Türen ist, sehe ich auch, wo beide Türen hinführen. Ich sehe einen wunderbaren weiten Himmel, mit rotgolden angestrahlten Wolken, ein Inbegriff von Weite, Frieden, Freiheit. Ich weiß in diesem Moment: Egal, für welche Tür du dich entscheidest, du gelangst dort hin. Und auch dann, wenn du dich für gar keine der Türen entscheidest, sondern einfach daran vorbei gehst, wirst du nicht abgewiesen; du gelangst ebenfalls dort hin, wo Weite, Freiheit, Frieden sind.

Das Bild wechselte dann. Nun sah ich quasi von oben aus der Vogelperspektive einen Irrgarten aus dicken, stacheligen Hecken. Komplziert, verwirrend, undurchschaubar. Der Irrgarten stand mitten in einer weiten Ebene, weit und schier unendlich. Und ich sah, dass dieser Irrgarten zwei Ausgänge hat. Wenn man sich darin verirrt hat, kann man jeden dieser Ausgänge nehmen, es ist egal welchen. Beide führen hinaus ins Weite.

Kurze Zeit darauf chattete ich mit einem freikirchlichen Kollegen. Ich schrieb: Ich stehe vor einer für mich wichtigen Entscheidung, aber nicht, worum es geht. Ob er mal für mich beten kann, vielleicht sagt oder zeigt ihm Gott ja etwas. Das tat er und schrieb zurück: „Ich hatte ein inneres Bild von einem Kreisverkehr mit mehreren Ausfahrten und du bist da immer im Kreis gefahren. Und Gott sagt: Du bist frei, egal wo, fahr jetzt raus. Setze den Blinker. Triff eine Entscheidung.“

Das Bild von den Türen sagt mir: Es ist vom Blickpunkt des Zieles her völlig egal, welche Tür du wählst. Um zu Gott zu gelanden, ist keine der Türen wirklich notwendig. Die Türen stehen für die verfassten Kirchen. Sie geben dem Glauben einen Rahmen. Deshalb sind sie nicht sinnlos. Es ist gut, sie zu benutzen. Aber der Himmel dahinter gehört allen. Du kannst, in meinem Falle, die evangelische oder die katholische Tür nutzen, oder auch gar keine – Entscheide frei. Das Heil hängt nicht davon ab, in welchem kirchlichen System du dich heimisch fühlst.

Das Bild vom Irrgarten ist in der Aussage ähnlich. Egal welchen Ausgang du wählst, um aus deiner verworrenen, festgefahrenen Situation herauszukommen: Du wirst dich im „weiten Raum“ wiederfinden, wie der Beter des Psalmes es ausdrückt:“Du, Gott, stellst meine Füße auf weiten Raum.“

Und was der freikirchliche Kollege schrieb, traf es genau: Setz den Blinker und fahr raus. Egal, wie du dich entscheidest, Gott stellt deine Füße auf weiten Raum, du bist gesegnet. Geh deinen Weg. Gott mutet dir die Entscheidung zu. Du bist frei, zu entscheiden.

Am Karfreitag 2019 trat ich wieder in die evangelische Kirche ein.

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