Nach meiner Entscheidung wieder Pfarrerin sein zu wollen, habe ich alles mir Mögliche in die Wege geleitet – Gespräche mit dem Dekan und der Regionalbischöfin sind geführt, eine vorläufige Dienstordnung für einen zunächst ehrenamtlichen Dienst ist erstellt und liegt in München im Landeskirchenamt zur Genehmigung.
Um ehrlich zu sein, zieht sich dieser Prozess der „Wiedereingliederung“ nun schon sehr lange hin. Seit meinem Antrag sind nun schon zehn Monate vergangen und davor weitere Wochen, bis es überhaupt zu den nötigen Gesprächen kam. Ich kann einfach nur abwarten, was geschieht. Aber ich bin ganz guter Dinge. Und sollte ich wirklich nicht mehr Pfarrerin sein können, werden sich andere Türen öffnen. Wichtig ist mir, dass ich mit mir selbst und mit Gott im Reinen bin.
Und immer wieder ist da in mir Jeremia 45, „mein“ Text, seit jener schicksalshaften Entscheidung am Ende meines Probedienstes. Ich entdecke immer neue Facetten. Anfangs las ich ihn nur als Warnung, eine bestimmte Pfarrstelle anzutreten.
Inzwischen spricht er anders zu mir. Zur Erinnerung zitiere ich die Verse noch einmal:
Dies ist das Wort, das der Prophet Jeremia zu Baruch…redete…: So spricht der HERR Zebaoth, der Gott Israels, über dich, Baruch: Du sprichst: Weh mir, wie hat mir der HERR Jammer zu meinem Schmerz hinzugefügt! Ich seufze mich müde und finde keine Ruhe. Sage ihm: So spricht der HERR: Siehe, was ich gebaut habe, das reiße ich ein, und was ich gepflanzt habe, das reiße ich aus, nämlich dies mein ganzes Land. Und du begehrst für dich große Dinge? Begehre es nicht! Denn siehe, ich will Unheil kommen lassen über alles Fleisch, spricht der HERR, aber dein Leben sollst du wie eine Beute davonbringen, an welchen Ort du auch ziehst.
Baruch ist der Schreiber des Propheten Jeremia. Sein Name bedeutet: Der Gesegnete. Wir wissen wenig über ihn. Aber offenbar hatte er große Pläne für sein Leben, „begehrte große Dinge“. Auch ich habe große Dinge begehrt. Pfarrstellen, die mir eine Nummer zu groß waren und an denen ich gescheitert bin. Ich habe mich tatsächlich müde geseufzt und immer kam noch eins obendrauf. Wie hat der HERR Jammer zu meinem Schmerz hinzugefügt. Ich finde keine Ruhe, ich bin eine innerlich Getriebene, ich komme einfach niemals irgendwo an. Finde meinen Ort nicht in dieser Institution der evangelisch-lutherischen Kirche.
Doch Gott sagt: Was ich gebaut habe, reiße ich ein und was ich gepflanzt habe, reiße ich aus, nämlich dies mein ganzes Land. Und ich lese es so: Du musst in der Kirche, zumindest in der Kirche als einer Institution öffentlichen Rechts, keine Heimat finden. Denn sie ist etwas Vorläufiges. Sie wird nicht ewig Bestand haben. Kette dein Herz nicht an eine Erscheinungsform von Kirche, denn sie ist eben nicht das Reich Gottes, sie ist nicht für die Ewigkeit bestimmt. Ich habe sie gebaut und ich breche sie wieder ab, wenn ihre Zeit gekommen ist. Ich habe sie gepflanzt, aber ich reiße sie auch wieder aus. Schau dich um. Eine halbe Million Kirchenaustritte in dem Jahr, in dem du wieder eingetreten bist. Halte nicht für ewig, was zeitlich ist. Halte nicht für den Himmel, was nur eine Tür ist.
Wirke in dieser Kirche, solange es sie in dieser Form noch gibt und sei dir bewusst, dass du in meinem Dienst steht und dass auch diese Institution, evangelisch-lutherische Kirche in Bayern, mir dient. Aber schau weiter. Sieh meine Kirche auf der ganzen Erde. Sieh, was ich anderswo baue und pflanze, während deine evangelisch-lutherische Kirche in Bayern bröckelt. Weite den Blick. Kette dein Herz nicht an eine sterbende Institution, sonder diene in dieser Institution mir.
Und mein Versprechen an dich ist: Wo auch immer dich das Leben hin treibt, wie auch immer es weitergeht, du wirst dein Leben als Beute davontragen. Auch wenn sich um dich herum Institutionen auflösen. Auch wenn vertraute Gestalten von Kirche allmählich verfallen. Als Gesunde, oder als Kranke. Du wirst dein Leben wie eine Beute davonbringen, an welchen (geistlichen) Ort du auch ziehst.
Wer bringt etwas als Beute davon? Jemand der gekämpft und gesiegt hat. Meine „Beute“ ist mein Leben. Nicht nur das nackte Überleben, sondern das Leben in Fülle bei und mit dem, der selbst Weg, Wahrheit und Leben ist.
Vor vielen Jahren sendete der BR (ich glaube zumindest es war der BR) eine Reportage über Spätaussiedler, also Russlanddeutsche, die sich oft nach einem ganzen langen Leben mit ihren Familien auf den Weg nach Deutschland gemacht haben, um hier ein neues Leben zu beginnen, damit ihre Kinder und Enkel es besser haben mögen, als sie selbst.
Man sah einen alten, vom Leben gezeichneten Mann, der gerade aus dem Flugzeug gestiegen war. Ein junger Reporter fragte ihn: „Und? Was erwarten Sie nun von Ihrer neuen Heimat?“ Der alte Mann erwiderte zunächst nichts. Der Reporter hakte nach. Und dann kam die Antwort: „Unsere Heimat ist im Himmel.“
Ich glaube, ich verstehe ihn gut.