Um in die evangelische Kirche wieder eintreten zu können, musste ich zunächst ein Wiedereintrittsgespräch führen. Und zwar bei dem Pfarrer, in dessen Sprengel ich gerade wohne. Ironie des Schicksals: Das ist ausgerechnet der Dekan, der mir vier Jahre zuvor im Namen des Landeskirchenrates das Disziplinarverfahren angedroht hatte.
Na toll, dachte ich. Es war mir trotzdem wichtig, mich dem Gespräch zu stellen (und nicht irgendwohin auszuweichen). Zur Vorbereitung schickte ich ihm meinen Briefverkehr mit der Regionalbischöfin. Beim Gespräch merkte ich, dass er sich zum einen freute, dass ich auf ihn zukomme und zum anderen bemüht ist, mir alle Wege zurück in die Kirche zu ebnen. Einer seiner ersten Sätze nach der Begrüßung war:“Und? Wie sieht es denn dienstlich aus?“ Auf deutsch: Wollen Sie wieder an Bord? Arbeit gäbe es genug.
Ich erwiderte, ich will jetzt erst mal wieder eintreten und mir dann nach und nach klar werden, und das akzeptierte er. Am Karfreitag 2019 trat ich wieder in die volle Mitgliedschaft der evangelisch-lutherischen Kirche ein, im Rahmen eines Abendmahlsgottesdienstes. Mir standen die Tränen in den Augen und ich wusste: Egal, ob ich wieder Pfarrerin sein kann und will, es war die richtige Entscheidung.
Solange es keine vollkommene Kirche gibt, bin ich hier richtig und werde mit der real existierenden evangelisch-lutherischen Kirche leben. Und solange ich nicht selber vollkommen bin, wird sie mit mir leben müssen. Alles andere wäre der Himmel, und den gibt es auf Erden nicht.
Einige Tage später fuhren wir in einen Kurzurlaub nach Tirol, um den letzten Schnee mit Schifahren, Rodeln und Winterspaziergängen zu genießen. Während der ganzen Fahrt strahlte die Sonne vom Himmel. Christoph fuhr, ich saß mit Korbi neben mir auf der Rückbank. Irgendwann schlief Korbinian ein, mit Christoph hatte ich alles beredet, was auf dieser Fahrt zu bereden war und es war still bis auf das gleichmäßige Geräusch des Motors.
Ich spürte den Drang in mir zu beten. Ich dankte Gott, dass ich endlich meine Entscheidung getroffen hatte, die evangelische Kirche als „meine“ Kirche zu akzeptieren, trotz aller Schwächen. Und ich sagte sinngemäß: „Herr, wenn du willst, dass ich in dieser Kirche wieder Pfarrerin bin, dann bin ich bereit. Verzeih mir, dass ich damals weggelaufen bin. Du hast mich berufen, dein Wort zu verkündigen. Wenn ich das weiterhin im Dienst dieser Kirche tun soll, dann ebne mir den Weg und lenke die Entscheidungen dorthin, dass ich es kann. Und wenn nicht, dann werde ich trotzdem dein Wort verkündigen, ob als Prädikantin in der Evangelischen Kirche, als freie Theologin oder einfach indem ich schreibe. Dein Wille geschehe.“
Auf einmal wurde es in mir ganz frei und leicht. Die Landschaft um uns herum erstrahlte im hellen Sonnenschein eines Spätwinters und die letzten Reste meiner „dunklen Wolke“ lösten sich auf.