Wer meinen letzten Beitrag gelesen hat, der fragt vielleicht: Wie kann man denn Pfarrerin sein wollen, ohne von seiner eigenen Kirche restlos überzeug zu sein? Wie glaubwürdig ist eine Pfarrerin, die ihre eigene Kirche als etwas „Vorübergehendes“ ansieht, als eine mögliche Form unter vielen, und womöglich nicht einmal die beste? Wenn ich sehe, dass die evangelische Kirche in ihrer jetzigen Form nicht mehr lange Bestand haben wird, wenn nicht eine radikale Trendwende eintritt – dann kann es doch wohl nur ein legitimes Motiv geben, weiter Pfarrerin zu sein: Nämlich, dass man mithelfen will, sich gegen den stetigen Abstieg und Verfall zu wenden. Dass man sich beide Beine ausreißen will, um die Institution Kirche vor dem Untergang zu bewahren. Wenn man das nicht will, ist man doch als Amtsträgerin dieser Kirche nicht glaubhaft. Oder?
In der Tat sind das auch meine eigenen Überlegungen. Kann ich glaubwürdig wieder Pfarrerin sein, wo ich doch eigentlich weiß, dass ich eben nicht nahtlos in dieses System hineinpasse, und das auch gar nicht will? Wo ich doch selbst sage, dass ich nicht glaube, dass es Kirche so wie wir sie kennen in 50 Jahren noch geben wird? (Wobei die 50 Jahre schon eher optimistisch gedacht sind, bei den momentanen Austrittszahlen.)
Wie sehe ich denn die evangelische Kirche, für die ich die Wiederbeilegung meiner Ordinationsrechte beantragt habe?
Zunächst einmal glaube ich, dass es die evangelische Kirche, wie wir sie in Deutschland kennen, eine Art bürgerlicher Mainstream-Protestantismus mit dem Anspruch, Volkskirche zu sein, bald wirklich nicht mehr geben wird. Ich bin der Überzeugung, dass wir uns darauf einstellen sollten, in nicht ferner Zukunft (20 Jahre höchstens) eine Minderheitskirche zu sein. Ich glaube ferner, dass auch die institutionelle Gestalt unserer Kirchen mit ihrem verbeamteten Pfarrerinnen und Pfarrern, ihrem Verwaltungsapparat und ihrem Reichtum an Immobilien in Bälde nicht mehr so bestehen wird, wie es Generationen vor uns gewohnt waren.
Und, auch wenn es hart klingt: Ich glaube auch, dass sehr viele Kirchengemeinden sich daran gewöhnen werden müssen, lange Zeit, Jahre lang, mit einer vakanten Pfarrstelle zu leben. Die Zeit der pastoralen Rundumversorgung ist bald Geschichte. Dasselbe gilt für viele liebgewordene Traditionen.
Und trotzdem glaube ich nicht, dass „Kirche“ am Sterben ist. Global gesehen erleben wir, wie sich in Asien, Südamerika und Afrika Menschen in Massen zu Jesus Christus bekehren. Global gesehen stirbt Kirche nicht, sie erlebt vielmehr eine Blütezeit, auch wenn uns die Formen des Christentums und die Art, wie unsere Glaubensgeschwister vielerorts ihren Glauben leben, fremd sein mögen.
Aber auch im Blick auf unsere Breitengrade und speziell unsere evangelische Kirche glaube ich nicht, dass wir am Ende sind. Ich glaube vielmehr, dass etwas stirbt, damit daraus etwas Neues auferstehen kann. Nirgendwo im Neuen Testament steht geschrieben, dass eine bestimmte Art, „Kirche“ zu organisieren, die Verheißung hätte, ewig zu bestehen. Die einzige Kontinuität, die Kirche zu Kirche macht ist das Bekenntnis zu Jesus Christus, den Sohn des lebendigen Gottes. Daraus erwächst die Identität der christlichen Gemeinde, aus dem Geist Jesu heraus lebt und handelt Kirche, wo sie wirklich Kirche ist und in Jesus liegt ihre Hoffnung, durch die Turbulenzen aller Zeiten hindurch.
Ich kann und will (wieder) Pfarrerin in der evangelischen Kirche sein, nicht weil ich diese Institution für das A und O halte, oder weil ich unbedingt will, dass auch in 200 Jahren noch alles so ist, wie es heute ist. Sondern weil ich daran glaube, dass jetzt, hier und heute sich etwas von der ewigen, lebendigen Gemeinschaft mit Jesus Christus auch in dieser speziellen Art Kirche zu sein verwirklicht.
Auch wenn ich, um ehrlich zu sein, hoffe, dass die evangelische Kirche in 50 Jahren anders aussehen wird, als heute.
Ganz spitz formuliert: die Annahme, eine verfaßte Kirche sei in dieser Form gottgegeben und könne nicht verschwinden, ist nicht reformatorisch. Ich piesacke damit gern mal meine katholischen Freunde, aber auch ein paar evangelische, die zwar nie nie nie papistisch sein wollen würden, aber an dieser Stelle ein gutes Stück römischer Ekklesiologie in sich tragen. Ist immer wieder amüsant, wie widersprüchlich der Mensch ist.
Witzig auch, wenn sich eine Kirche als Volkskirche verstehen will, die nur 1% der Bevölkerung zu ihren Mitgliedern zählt, und auch das nur aufgrund einer recht kreativen Definition von Mitglied. (Meine Kirche, EPUdF).
Aber: die Kirchenstruktur ist kein Glaubensinhalt, nicht mal Inhalt des Ordinationsversprechens. Und dafür steht als erstes die CA in Artikel 7 und 8, die nämlich Kirche nicht als Verwaltungsstruktur begreift, sondern als Ereignis. Wo das Wort recht gepredigt und die Sakramente getreu verwaltet werden, da ereignet sich Kirche. Kirche ist der Rauch, der aus dem Feuer steigt, und nicht umgekehrt. Und das ist gut so.
Ich bin in der evangelischen Kirche, weil sie am besten zu mir paßt. Ob ich in Deutschland nicht in einer Freikirche wäre? Denn mehr noch als Volks-Kirche (das wäre ja gut!) sind die EKD-Gliedkirchen erst einmal Amts-Kirchen. Meine Kirchenordnung hat 60 Artikel.
Die Kirchen werden sich in Deutschland gesundschrumpfen, keine Frage. Wobei „gesund-“ dann doch die Frage ist, denn bisher schaffen es die Landeskirchenämter, sich selbst überhaupt nicht schrumpfen zu lassen, die gemeindlichen Strukturen aber um so mehr. Die Pfarrstellen machen weniger als die Hälfte des Budgets der EKvW aus, und noch dazu will sie von etwa 1350 Stellen in den nächsten fünf Jahren netto 240 wegfallen lassen. Angesichts der Tatsache, daß weiterhin landeskirchliche Stellen geschaffen werden, gibt das einen bedenklichen Trend. Irgendwann wird es keine Gemeinden mehr geben, nur noch Kirchenleitungen.
Dabei sind es die Gemeinden, die die Kirche ausmachen, und hier nicht zuletzt die Landgemeinden. Nicht Internetpfarrer und Friedhofsverwaltungen. Hier in Frankreich merkt man sehr schnell, daß Kirche das alles gar nicht braucht. Was sie braucht, sind Menschen. Und eine Verbindung „nach oben“.
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Amen dazu.
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