2022 war ein Jahr, das nur so an mir vorbei gerauscht ist. Ein sehr volles Jahr. Vielfältig und etwas anstrengend.
Auf der großen Bühne der Weltpolitik gab es manches, was nicht nur mir Angst gemacht hat und noch macht: Ukrainekrieg. Polarisierung der Gesellschaft(en) durch soziale Spannungen. Die sich immer drängender stellende Frage, ob und wie die Klimakrise sich noch bremsen lässt. Sich an Straßen festkleben und Gemälde mit Tomatensuppe bewerfen ändert zwar nichts, aber es sind Akte der Verzweiflung, die ich sehr gut nachvollziehen kann. Ich finde es zum aus der Haut fahren, wie die wirklich wichtigen Entscheidungen immer und immer wieder aufgeschoben werden. Auch 2022 hat uns nicht wirklich vorangebracht. Und das finde ich sehr ernüchternd.
Familiär war es das Jahr, in dem eine 86jährige Tante, die für mich lange Zeit eine echte moralische Stütze war, endgültig dem Alter verfiel. Es ist schwer, das mit anzusehen. Es war aber auch ein Jahr voller Streiche und Einfälle eines gewitzten 4jährigen, der uns abwechselnd auf die Palme bringt und vor Stolz platzen lässt. Korbinian entwickelt sich prächtig, ist aufgeweckt und anstrengend und wunderbar und sehr intensiv.

Bei aller Freude einer späten Mutter fehlt mir auch immer wieder vieles. Zeit für mich. Zeit zum Denken, Lesen, Schreiben und musizieren. Aber es war auch das Jahr, in dem ich angefangen habe, mir Nischen zu schaffen und mein Leben zurück zu erobern. Nicht mehr „nur“ Mama sein. Das tut mir gut.
Ein großer persönlicher Verlust und auch ein Verlust für unsere Kirche war der Tod von Andreas Ebert im März dieses Jahres. Er fehlt in vielerlei Hinsicht. Nicht nur, aber auch mir. Manchmal, wenn ich Dinge durchdenke, halte ich innerlich Zwiesprache mit ihm. Was würdest du dazu sagen, Andreas? Manchmal ist er sehr präsent für mich. Gleichzeitig weiß ich: Er ist gut drüben angekommen.
Bereits im zweiten Schuljahr unterrichte ich nun angehende Erzieher/innen an der Fachakademie für Sozialpädagogik in Religionspädagogik, das liegt mir, bessert das Konto auf und regt mich an.

Überhaupt war das Jahr für mich theologisch dicht. Ich entwickle mich stark weiter. Eigentlich ein Wunder bei dem Mangel an Zeit. Wichtig und immer wichtiger wird mir ein „nicht dualistisches“ Christentum. Die alten christlichen Wahrheiten neu buchstabieren. Nicht einfach ein bisschen „moderner“. Sondern in einer Weise, die intellektuell redlich, spirituell tief und dem Leben heutiger Menschen angemessen ist. Ein wichtiger Gesprächspartner auf diesem Gebiet war, ist und bleibt Tilmann Haberer, dessen Buch „Von der Anmut der Welt“ ich bereits 2021 verschlungen habe und der ziemlich genau auf den Punkt bringt, was auch in mir schon seit Jahren gärt. Ich hoffe, ich werde dazu kommen, genau über diese Dinge in Zukunft noch mehr zu schreiben. Die Kirche braucht den integralen Ansatz. Unbedingt.
Das versuche ich auch in Gottesdienste und Predigten einfließen zu lassen, die ich ehrenamtlich etwa einmal im Monat in den Kirchen des Dekanats halte.
Schön und wohltuend war ein Familienurlaub in Tirol im Sommer. Zwar sind längere Wanderungen mit einem 4jährigen eher schwierig, aber die grandiose Landschaft hat mir trotzdem geholfen, immer wieder zur Ruhe zu kommen und wir haben wirklich aufgetankt.
Gesundheitlich geht es mir gut, bis auf immer noch vorhandene leichte Konzentrationsstörungen durch Schlafmangel. Ich bin nicht mehr so belastbar wie vor zehn Jahren. Habe aber ein Leben gefunden, in dem ich gut so sein kann, wie ich bin.
Nach einem meiner letzten Gottesdienste fragte mich ein alter Bekannter, der zufällig in der Kirche war, ob ich denn nicht ins Gemeindepfarramt zurückkehren will. Die Antwort war klar. „Nein. Never ever“. – „Und warum?“
Weil ich keinen Bock drauf habe. Weil ich absolut nicht sehe, wie ich als Person dieses Amt füllen könnte. Dieser Keks ist gegessen. Sieben Jahre ist mein Ausstieg aus dem Pfarramt jetzt her. In dieser Zeit habe ich mich einmal komplett gehäutet. Ich sehe nicht, wie ich da noch reinpassen soll.
Und es ist gut, wie es ist.
Das war mein 2022.
Danke für diesen ausführlichen Einblick in Dein Leben… Ich habe mich gefreut über das Foto von Deinem Sohn. Dem Ersehnten… Wie habe ich vor vier Jahren gebetet und gehofft, dass alles gut geht… und jetzt ist er schon so groß!
Alles Liebe Dir und Deiner Familie. Weiterhin einen fröhlichen Advent
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Danke. Dir auch und danke für alle Gebete damals.
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