
Christen glauben an einen dreieinigen Gott. Der Vater, Ursprung von allem, der die Welt erschuf. Der Sohn, der in Jesus Christus Mensch geworden ist und die Menschheit und den ganzen Kosmos wieder mit Gott versöhnt hat. Den heiligen Geist, der aus dem Vater (und dem Sohn) hervorgeht und alles lebendig macht und am Leben erhält.
Ich persönlich finde diese Lehre schön. Ja, ich finde: Man darf in der Theologie auch etwas einfach schön finden. Durch den Glauben an den dreieinigen Gott wird Gott nahbar und menschenfreundlich, weil er ja als der „Sohn“ ein menschliches Gesicht hat. Durch den Glauben an den Heiligen Geist ist diese ganze Sache kein Schnee von gestern, nein, Gott wirkt heute noch in dir, in mir, in dieser Welt.
Ich kann voll Freude an „meinen“ dreieinigen Gott glauben, weil ER mir so und nicht anders begegnet ist. Zugleich kann ich aber trotzdem glauben, dass er sich anderen anders offenbart hat.
Man kann diesen ganzen trinitarischen Ansatz auch noch viel weiter fassen, quasi vom christlichen Glauben entkoppelt.
Darauf bin ich bei der Lektüre des Buches „Gott 9.0“ gestoßen. Hier las ich erstmals von den „drei Gesichtern Gottes“. Diese sind NICHT identisch mit Vater, Sohn und Geist in der christlichen Tradition. Was man gemeinhin Gott nennt, heißt hier GEIST. GEIST in Großbuchstaben, wohlgemerkt. Der Ansatz stammt von Ken Wilber, auf den Gott 9.0 sich hier bezieht. Er spricht vom GEIST in der ersten, zweiten und dritten Person, bzw. von den drei Gesichtern Gottes oder dem „3-2-1 Gottes“. Dieser Ansatz ist deshalb auch im interreligiösen Dialog vielversprechend, weil er personale und a-personale Gotteserfahrungen nicht gegeneinander ausspielt.
Das Dritte Gesicht Gottes, bzw. Gott in der dritten Person ist das „Große Es“. Gott in der dritten Person ist identisch mit dem großen Kosmos, der uns umgibt, der Wirklichkeit, in der alles lebt und existiert. Die Begegnung mit dem GEIST in der dritten Person wird manchmal als eine a-personale transzendente Erfahrung erlebt. Ich bin eins mit dem, was mich umgibt. Ich persönlich würde hier ein Erlebnis in meiner Jugend einordnen. Der großartige Carl Sagan, amerikanischer Astronom, der in seinen Sendungen und Büchern die Astronomie in den 80er Jahren auch in Deutschland populär gemacht hat, erklärte, dass buchstäblich ALLES, die gesamte Materie im Universum, uralt ist. Und dass wir selbst aus Sternenstaub bestehen. Jedes Molekül meines Körpers existiert seit zig Milliarden Jahren, aber hier und jetzt laufe ich in meiner jetzigen Form herum. Und ich dachte: Wow. Ist das nicht absolut irre? Ich bin ewig. Zwar nicht ich als Christiane M., aber der Stoff aus dem ich bestehe. Das war für mich etwas, das ich heute als transzendente Erfahrung beschreiben würde, ganz ohne „Gott“ als personales Gegenüber.
Das Zweite Gesicht Gottes, bzw. GEIST in der zweiten Person, ist das „große DU“. Die Begegnung mit dem GEIST als großes DU ist das charakteristische Merkmal der theistischen Religionen. Hier wird GEIST als personales Gegenüber erfahren. Das Staunen über die Unendlichkeit des Kosmos und über das Leben an sich sucht sich ein Gegenüber. In Gebeten unter Einbeziehung der vertrauten Gottesnamen (Gott, Vater, Mutter, Jesus, Allah….) verneigt sich der Gläubige vor dem lebendigen GEIST, der als personhaft erfahrbare Liebe zu allen und allem erlebt wird.
Das Erste Gesicht Gottes, bzw. GEIST in der ersten Person ist das große ICH BIN. Im Alten Testament antwortet Gott auf die Frage nach seinem Namen: ICH BIN DER ICH BIN. Jesus spricht (zumindest im Johannesevangelium) von sich als dem ICH BIN. (ICH BIN das Licht der Welt, der Gute Hirte, die Auferstehung und das Leben…) Es ist vor allem in den theistischen Religionen ein großes Tabu, dass diese Erfahrung des ICH BIN im Prinzip von jedem Menschen gemacht werden kann, dass Jesus in seinen ICH BIN Worten eine spirituelle Erfahrung beschreibt, und dass jeder seiner Freunde diese Erfahrung machen kann. „Ich und der Vater sind eins.“ Zitat aus Gott 9.0.: „Heute wissen wir, dass nicht wenige Mystiker im Christentum und im Islam diese ICH BIN-Erfahrung machten, es aber kaum wagen konnten, darüber zu sprechen.“ Denn damit wäre ja das Gefälle zwischen Gott und den Menschen eingeebnet, die Kirche als Heilsvermittlerin überflüssig.
GEIST in der ersten Person ist „das reine Bewusstsein in uns, das seine Identität mit dem allumfassenden Göttlichen erkennt.“
Theistische Religionen propagieren stark das zweite Gesicht Gottes und nennen die mystische Erfahrung des ersten Gesichtes Gotteslästerung. Östliche Religionen lehren das erste Gesicht Gottes und tun das zweite, die Erfahrung eines personhaften Gottes, als Illusion ab. Eigentlich müssten sich beide Erfahrungen aber nicht widersprechen. Sie könnten gleichwertig nebeneinander stehen als ebenbürtige Erfahrungsmöglichkeiten des Göttlichen.
Vgl. Marion Küstenmacher, Werner Küstenmacher, Tilmann Haberer: „Gott 9.0 – Wohin unsere Gesellschaft wachsen wird“, Gütersloher Verlagshaus 2010.