Freuet euch! – Predigt am 4. Advent 2022

Anmerkung: Wer sich am Christus-Titel „der Herr“ stört, darf ihn gern ersetzen durch Christus, Jesus, Jesus Christus, unser Freund Jesus,….Ich bleibe bei „der Herr“. Weil dieser Titel, die Übersetzung des griechischen „Kyrios“, aussagt, wem Christen verpflichtet sind und vor wem und was sie sich beugen und wem sie dienen. Nämlich nicht den „Herren“ dieser Welt. Sondern Gott. (Aber das wäre einen eigenen Artikel wert.) Hier also meine Predigt von heute.

Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch! Eure Güte lasst kundsein allen Menschen! Der Herr ist nahe!

Sorgt euch um nichts, sondern in allen Dingen lasst eure Bitten in Gebet und Flehen vor Gott kundwerden!

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. (Philipper 4,4-7)

Was mir zuerst auffällt:

Die Imperative. Der Befehlston.

Freuet euch! Freuet euch! Lasst kund sein! Sorgt euch um nichts! Lasst kundwerden!

Fünf Befehle innerhalb von vier Bibelversen. Mich erinnert der Tonfall ein wenig an den eines Kindes, das ins Wohnzimmer stürmt, während Vater oder Mutter gerade mit irgendetwas beschäftigt sind. Mama, Papa! Schaut mal! Ich muss euch was ganz Tolles zeigen! Kommt mit! Jetzt! Sofort! Und manchmal verstehe ich dann nicht, was jetzt sofort so wichtig sein soll, dass ich dafür alles andere stehen und liegen lasse.

So ähnlich geht es manchem vielleicht mit diesem Predigttext. Freut euch! Der Herr ist nahe! In einem drängenden, keinen Aufschub duldenden Ton. Der Herr ist nahe!

Und mancher ist geneigt zu sagen: Jaja, ich weiß schon, Weihnachten, das Kind in der Krippe. Weiß, ich kenn ich seit vielen Jahren, reißt mich nicht vom Hocker.

Was aber, wenn Jesus, der Herr, wirklich nahe wäre? Ich lade Sie ein zu einem Gedankenexperiment.

Sie bekommen eine SMS. Dort steht nur: „Ich will dich besuchen. Heute um 12.30. Jesus.“ Mal angenommen, Sie halten das nicht für einen dummen Scherz, sondern nehmen die Botschaft ernst. Was geht in Ihnen jetzt vor? Freuen Sie sich? Wirklich?

O Gott. Die Wohnung ist nicht aufgeräumt, wir haben nicht mit einem Gast zum Mittagessen gerechnet, überhaupt, was will der ausgerechnet bei uns? Gibt doch andere die er besuchen könnte. Den Dekan vielleicht, oder den Landesbischof, warum will der ausgerechnet zu mir?

Der Herr lässt sich aber nicht beirren. Was machen Sie? Sie rennen nach Hause. Fangen hektisch an zu putzen. Ihre Gedanken rasen. Was setze ich ihm zum Mittagessen vor? Alle Läden haben zu. Ich habe nur Nudeln mit Tomatensoße im Haus. Was soll er von mir denken?

Wenn „der Herr“ kommt, ob die Bibel jetzt von Jesus erzählt oder allgemein von Gott, dann geschieht es immer unerwartet und seine Ankunft stellt alles auf den Kopf. Sie lässt sich nicht planen oder im Kalender eintragen. Mitten in der Nacht, zur Unzeit, an einem unpassenden Ort wird Jesus geboren. Seine ersten Jünger ruft er ohne Voranmeldung und ohne Vorwarnung aus ihrem gewohnten Alltag heraus. „Folge mir nach!“. Und sie lassen alles stehen und liegen. Zachäus, der Zöllner, ist auf einen Baum geklettert, weil er Jesus besser sehen will. Jesus sagt: „Zachäus, steig vom Baum! Heute will ich bei dir zu Gast sein!“ Na, der wird sich im ersten Moment aber gefreut haben, was? In seinen Gleichnissen spricht Jesus von sich als dem Menschensohn, der eines Tages wiederkommen wird. Wann? Und wie? Antwort: Wie ein Dieb in der Nacht. Zu einer Zeit, in der niemand es erwartet. Plötzlich. Unvorhergesehen. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel. „Gott ist nicht nett“, hat ein jüdischer Rabbi einmal gesagt. „Gott ist kein Onkel. Gott ist ein Erdbeben.“ Er erschüttert vermeintliche Sicherheiten. Er kehrt das Unterste zuoberst. Die Armen und Niedrigen werden erhöht. Die Mächtigen in ihre Schranken verwiesen. Wüsten werden zu fruchtbarem Land, Berge werden versetzt, Täler eingeebnet und das Volk, das im Dunkeln wohnt, sieht ein großes Licht.

Advent bedeutet Ankunft. Wir freuen uns auf die Ankunft des Jesuskindes. Auf Weihnachten, Weihnachtsbaum und Familie. Bitte recht besinnlich.

Was aber, wenn Er, Jesus, wirklich käme? „Und wenn er aber kommt?“

Freuet euch, und abermals sage ich freuet euch, der Herr ist nahe!

Wie nahe? Paulus rechnete ernsthaft damit, dass Jesus, der Auferstandene, zu seinen Lebzeiten noch kommt. Wir bekennen es im Glaubensbekenntnis. Das er wiederkommt „zu richten Lebende und Tote“. Und ja, auch wenn das unpassend erscheint: Der Advent hat eben auch diese Dimension. Wir erinnern uns an die Geburt Jesu vor nun über 2000 Jahren. In allen Predigttexten der Adventszeit schwingt aber auch diese andere Dimension mit: Dass er wiederkommt. Einmal, am Ende der Zeit. Und dass er eben hier und jetzt vor der Tür steht, anklopft und sagt: „Heute will ich bei dir zu Gast sein!“, wie damals bei Zachäus.

Ehrlich gesagt: Nur um mich zu erinnern, dass da vor 2000 Jahren ein besonderer Mensch geboren wurde, müsste ich nicht Weihnachten feiern. Das wäre doch nur eine sentimentale Erinnerung, angereichert mit etwas Kitsch und Räucherkerzenduft. Ich hoffe und vertraue darauf, dass Gott wie damals in Jesus in jedem einzelnen von uns Mensch werden will. Ich habe Sehnsucht danach, dass er wirklich am Ende der Zeit wiederkommt. Immer, wenn er irgendwo hinkam, versetzte er die Menschen in Aufruhr und stellte alles auf den Kopf. Davor graust es mir manchmal. Ich mag meine Gewohnheiten. Meine Behaglichkeit, meine tägliche Tea-Time mit Adventskranz und mein Leben, so wie es ist. Das soll bitte alles so bleiben!

Die Bibel aber ist voller Geschichten, in denen Gewohntes, Vertrautes, plötzlich aufgebrochen und hinterfragt wird, wenn Jesus kommt. Da werden Menschen aus ihrer Komfortzone geholt, folgen dem Ruf Gottes in neues, ungewohntes Land, werden mit sich selbst und ihren Schwächen konfrontiert und erleben gegen alle eigenen Bedenken, wie Gott handelt, heilt und die Dinge im wahrsten Sinne des Wortes zurecht rüttelt. Und danach sehne ich mich, genauso sehr, wie ich mich davor fürchte.

Ich muss an eine meiner ersten Theologievorlesungen denken, damals bei Professor Dr. Timm in München. „Was bedeutet Wiederkunft Christi, meine Damen und Herren?“, fragte er. Eine Studentin (ich war es nicht) erwiderte brav was sie gelernt hatte: „Da kommt der Herr Jesus wieder.“ Die Antwort des Professors werde ich nie vergessen: „Ja schon! Aber ich frage Sie: Ist das wünschenswert? Ist das wirklich wünschenswert? Und was, wenn er wirklich kommt, und Sie sind dann mittendrin statt nur dabei?“ Von draußen, von der Straße, war in diesem Moment ein lauter Knall zu hören, gefolgt vom Geheul einer Sirene, und der Professor meinte augenzwinkernd: „Sehen Sie? Es geht schon los.“

Damals habe ich, wie die meisten im Raum, gelacht. Später bereitete mir diese Vorstellung Unbehagen. Dann habe ich es sehr individuell verstanden: Jesus kommt zu dir, in dein Leben, und er ist längst da und bleibt es auch, er wohnt in deinem Herzen. Das war und ist wunderbar tröstlich, für mich zumindest.

Aber manchmal habe ich in mir diese Unruhe, die wohl auch Paulus getrieben hat: Wann kommt er endlich wirklich, wann kommen der neue Himmel und die Neue Erde? Wann schafft er endlich den Unterdrückten Recht, wann stellt er endlich die ganze Welt auf den Kopf, rüttelt sie zurecht und richtet sie wieder auf, so wie das die Menschen damals erlebt haben und wie es heute noch einzelne immer wieder erleben, wenn sie mit IHM in Berührung kommen? Wir hätten es so bitter nötig, dieser ganze Planet, diese ganze Menschheit. Insofern würde ich meinem Professor heute antworten: „Doch, Herr Timm. Ich wäre gern mittendrin statt nur dabei, auch wenn ich zugebe, dass ich etwas Angst hätte, aus meinem vertrauten Trott gerissen zu werden.“ Und manchmal wünschte ich tatsächlich, es ginge endlich los.

Solange bis es soweit ist, kann ich, können wir tun, was Paulus auch vorschlägt: Unsere Güte kundsein lassen allen Menschen. Also weiterhin das Gute zu tun, zu fördern, uns an die Seite aller zu stellen, die unsere Hilfe brauchen. Und eben beten. Immer wieder treu die Nöte und Freuden aller Menschen vor Gott tragen.

So wie wir das nachher in den Fürbitten tun werden.

Und der Friede Gottes, der zum Glück höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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