1305

Vorbemerkung: Derzeit lese ich „Vom Leben und vom Schreiben“ von Stephen King und fühlte mich zu einer Kurzgeschichte inspiriert. Äußert gerne Feedback. Meine Schreibe ist etwas eingerostet, aber ich habe vor, wieder mehr zu schreiben, und nicht nur Theologisches.

Die Aufzugtür öffnet sich. Ich höre es mehr, als ich es sehe. Über mein Smartphone gebeugt scrolle ich durch die Twittertimeline. Trete hinaus auf den Hotelflur. Hinter mir gleitet die Türe zu. Ohne den Blick zu heben steuere ich auf unser Zimmer zu. Nummer 1205, das fünfte links im zwölften Stock, mit herrlichem Blick aufs Meer. Schade, dass wir heute abreisen. Das Gepäck steht schon in der Lobby. Unser blauer Golf parkt abfahrbereit vor dem Haupteingang.

Ein letzter Kontrollgang. Haben wir wirklich alles? Nicht dass ich wieder mein Ladekabel vergesse. Die Zimmertür steht offen. Ich trete ein, schaue vom Smartphone hoch und stutze.

Vor zehn Minuten, nachdem wir den letzten Koffer auf den Gang getragen hatten, sah es hier ganz anders aus: Überquellende Mülleimer, zerknülltes Bettzeug, Kekskrümel über den blauen Teppichboden verteilt. So, wie ein Hotelzimmer eben aussieht, wenn eine Familie mit Kleinkind vierzehn Tage darin gehaust hat. Jetzt ist alles blitzblank, die Betten gemacht und frisch bezogen, der Mülleimer geleert. Es riecht sauber nach Waschmittel und Meister Propper. Alles bereit für den nächsten Gast.

Ich pfeife anerkennend durch die Zähne und deponiere einen 10 Euro Schein als Trinkgeld auf dem Nachttisch.

Ein schneller, prüfender Blick ins Badezimmer (Duschgel eingepackt?), unters Bett (keine einsamen Socken zwischen Wollmäusen) und in die Schränke. Wir haben nichts vergessen.

Ich verlasse das Zimmer, wende mich in Richtung Fahrstuhl und stutze.

Da ist kein Fahrstuhl.

Da ist nur ein endloser Hotelflur, der sich in der Ferne verliert.

Wahrscheinlich sind es Spiegel, die diese Illusion erzeugen. Ich habe  mich im Stockwerk geirrt. Das wird es sein. Falsches Stockwerk, falsches Zimmer.

Ich lese die Zimmernummer. Zahlen aus Metall auf dunkelbraunem Furnier. 1305. Unterhalb der Zahl Drei zieht sich ein kaum wahrnehmbarer Riss durchs Holz. Ich befinde mich im dreizehnten Stock. Die Zimmer sind hier anders angeordnet als eine Etage tiefer, aber ich werde den Fahrstuhl schon finden. Ich wende mich in die Richtung, aus der ich vorhin gekommen bin.

Ich gehe einige Meter weit. Sehe zu beide Seiten des Flurs nur Türen. Sie alle stehen halb offen. Völlig irritiert werfe ich einen Blick in eins der Zimmer. Ordentlich gemachte Betten. Klinisch reiner, dunkelblauer Teppichboden. Auf dem Nachttisch liegen 10 Euro und auf dem dunkelbraunem Furnier der Zimmertür prangt die Zahl 1305.

Weiter! Das nächste Zimmer!

1305. Bezugsfertig und klinisch rein. Zehn Euro auf dem Nachttisch.

Ich renne den Gang entlang. Mein Herz rast, das Blut rauscht mir in den Ohren.

Hunderte Male dieselbe Zimmernummer.

1305. Auf dunkelbraunem Furnier. Mit einem Riss diagonal durch die Drei. Der Gang nimmt kein Ende.

Immer dieselbe Tür, dieselbe Nummer, derselbe Riss. Dahinter: Gemachte Betten, frisch bezogen, makelloser Teppichboden, der Duft der Sauberkeit. Und die 10 Euro Trinkgeld auf dem Nachttisch.

Und von jedem Fenster derselbe Ausblick. Das Meer. Der Hotelparkplatz. Dort steht unser blauer Golf, abfahrtbereit, mit geöffnetem Kofferraum.

Ich sehe mein Mann aus dem Hotel kommen. Er schiebt einen Gepäckwagen zum Auto, dann lädt er Koffer und Rucksäcke ein.

Ich versuche das Fenster zu öffnen, will ihm zurufen, dass ich feststecke, dass ich gefangen bin in einem Alptraum und den Fahrstuhl nicht finde. Das Fenster lässt sich nicht öffnen.

Telefonieren kann ich nicht. Mein Smartphone ist nur noch ein schwarzes Rechteck.

Ich schreie und winke. Werfe einen Stuhl ans Fenster. Umsonst. Es hält dem Aufprall stand.

Wie gelähmt stehe ich am Fenster, schaue hinunter. Mein Mann geht zurück in die Hotellobby, kommt mit unserem dreijährigen Sohn an der Hand wieder heraus, hilft ihm in den Kindersitz.

Ihm folgt eine Frau. Über das Display ihres Smartphones gebeugt. Sie trägt meine Kleidung, zieht meinen Rollkoffer hinter sich her. Jetzt schaut sie zu mir hoch und ich sehe ihr Gesicht.

Es ist mein eigenes. Sie grinst mich an.

Mein Mann steigt ins Auto, die Fahrertür klappt zu. Die Frau steigt ebenfalls ein und schließt die Beifahrertür. Der Golf rollt vom Hotelparkplatz und aus meinem Blickfeld.

3 Kommentare zu „1305

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