Heute ist der 4. Juli. Und heute vor drei Jahren starb mein Vater im hohen Alter von 89 Jahren. Unser Verhältnis war nicht immer das beste. Und trotzdem, er war eben mein Vater. Mit den Jahren habe ich gelernt, das Gute zu würdigen, das er mir mitgegeben hat.
Da ist zum einen der Humor. Meine Mutter hatte keinen, mein Vater schon. Und auf der Ebene verstanden wir uns von Anfang an blendend. Zum anderen die Liebe zur Natur. Oft waren wir zusammen draußen und er zeigte mir die unterschiedlichen Pflanzen, oder im Rahmen seiner eigenen Kenntnisse, die Sternbilder und Planeten.
Mein Vater war ein Philosoph. Mit der Kirche konnte er zwar gar nichts anfangen. Aber angesichts astronomischer Entfernungen und physikalischer Gesetze geriet er ins Staunen und Schwärmen und ich mit ihm. Ich glaube inzwischen, dass er so ohne es im Entferntesten zu wollen die Grundlage für meinen eigenen Glauben gelegt hat. Denn das Staunen führt eben zum Glauben. Man wird sich seiner eigenen Winzigkeit im Universum bewusst. Ich war davon oft überwältigt. Und was ist Glaube letztlich anderes als das Anerkennen, dass man selbst ein winziges Staubkörnchen angesichts der Ewigkeit ist?
Mein Vater war mathematisch hochbegabt. Das allerdings hat er mir leider nicht vererbt und so endeten seine Versuche mir Nachhilfe in Mathe zu geben für beide Seiten regelmäßig frustrierend.
Mein Vater war ein sehr stiller und zurückhaltender Mensch – und auch da fällt der Apfel nicht weit vom Stamm. Er konnte z.B. nie verstehen, warum Menschen andere „Freunde“ nennen, mit denen sie über das, was ihnen wirklich wichtig ist, überhaupt nicht reden können. „Dieses oberflächliche Blabla, was soll das überhaupt?“ Und er warnte mich vor dem Pfarrerberuf, weil er, selber Pfarrerssohn, recht scharfsichtig erkannte: „Da muss man ja immer den Strahlemann machen, glaubst du wirklich dass das was für dich ist?“
Das große Drama meines Vaters war glaube ich, dass er sich lange Jahre seines Lebens selbst nicht so nehmen konnte, wie er nun mal war. Das Männlichkeitsideal war (und ist) ein anderes. Er war kein Draufgänger und kein Held und auch kein „Boss“, sondern ein Mensch der gern seine Ruhe hatte – eben introvertiert. Na so was.
Bis vor wenigen Jahren habe ich es immer beleidigend gefunden, wenn jemand sagte: „Du bist genau wie dein Vater!“ – heute sage ich: „Klar. Und das ist auch gut so.“
Abgesehen davon, dass ich natürlich NICHT genauso bin. Aber ja, ich habe viel von ihm. Und das ist gut so.
Manches war auch sehr schwierig mit ihm – aber wo gibt es das nicht?
Die letzten 20 Jahre seines Lebens lebte er auf. Und zwar dadurch, dass er endlich die Lebensform gefunden hatte, die ihm gut tat. Eine Wohnung in einem Haus ganz weit vom Schuss, irgendwo am Waldrand. Das Paradoxe: Hier, wo er endlich seine Rückzugsmöglichkeit hatte, konnte er sich auf einmal auf gesellschaftliche und soziale Events einlassen. Er hatte ein gutes Verhältnis zu seinen Nachbarn, war einer der Mitbegründer einer philosophisch-theologischen Gesprächsrunde am Ort, er las die großen Philosophen und versöhnte sich offenbar irgendwie mit seinem Leben.
Mit ungefähr 30 Jahren fand ich dann auch endlich einen neuen Zugang zu ihm. Unser Kontakt war nicht eng, aber in den letzten Jahren zunehmend von Wohlwollen und Vergebung geprägt. Schade, dass er sich nicht schon viel früher so entfalten konnte, er hätte der Welt sehr viel zugeben gehabt.
Sehr zu meiner Überraschung kam bei seiner Beerdigung einer seiner Nachbarn auf uns zu. Der war/ ist Schildermacher und überreichte uns ein Messingschild, das mein Vater gern auf seinem Grabstein haben wollte.
Eingraviert darin war der Satz: „Er tat, was er konnte.“
Ein Lebensmotto, ein Vermächtnis.
„Er tat, was er konnte.“
Lakonisch, etwas entschuldigend.
Und irgendwie gut.
Du hast getan, was du konntest.
Danke dafür.
Mein Vater wurde auch 89. Dann hattest du also auch einen „alten“ Vater.
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Ich bin aus seiner 2. Ehe.
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